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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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den Achseln. Die Nägel an seinen nackten Füßen waren gelb und zu lang. In dem Moment haßte Renie ihn.
    »Du kannst das nicht machen!«
    »Dann raus mit dir. Geh doch – ich brauch keine kleine Klugscheißerin in meinem Haus. Ich hab schon zu deiner Mama gesagt, bevor sie gestorben is, das Mädel hat Flausen im Kopf. Hält sich für was Besseres.«
    Renie trat um den Tisch herum auf ihn zu. Ihr Kopf fühlte sich an, als wollte er gleich explodieren. »Nur weiter so, schmeiß mich raus, du alter Sturkopf! Wer wird dann wohl für dich saubermachen, für dich kochen? Was denkst du, wie weit du mit deinem bißchen Rente kommst, wenn ich mein Gehalt nicht mehr hier abliefere?«
    Joseph Sulaweyo schlenkerte verächtlich seine langen Hände. »Dummes Zeug. Wer hat dich denn in die Welt gesetzt? Wer hat gearbeitet, bloß daß du auf diese Afrikaanderschule gehen und den ganzen Computerquatsch lernen konntest?«
    »Ich hab für mein Studium selber gearbeitet.« Was als einfacher Druck im Kopf angefangen hatte, hatte sich inzwischen zu eisig stechenden Schmerzen ausgewachsen. »Vier Jahre lang hab ich in der Caféteria hinter andern Studenten abgeräumt und gewischt. Und jetzt, wo ich eine gute Stelle habe, komm ich nach Hause und räume und wische hinter dir her.« Sie nahm ein schmutziges Glas in die Hand, in dem ein angetrockneter Milchrest vom Vorabend stand, und hob es hoch, um es auf den Fußboden zu schmettern, es in die tausend scharfen Splitter zu zerbrechen, die schon in ihrem Kopf klirrten. Nach kurzem Zögern stellte sie es wieder auf den Tisch und wandte sich schwer atmend ab. »Wo ist er?«
    »Wo ist wer?«
    »Verdammt nochmal, das weißt du genau! Wo ist Stephen hin?«
    »Woher soll ich das wissen?« Long Joseph durchsuchte den Schrank nach der Flasche billigen Wein, die er zwei Abende vorher ausgetrunken hatte. »Abgehauen mit seinem hundsmiserablen Freund. Diesem Eddie. Wo bist du mit meinem Wein hin, Mädel?«
    Renie drehte sich um, ging in ihr Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Man konnte einfach nicht mit ihm reden. Warum versuchte sie es überhaupt?
    Auf dem Bild, das auf ihrem Schreibtisch stand, war er mehr als zwanzig Jahre jünger, groß und dunkel und stattlich. Ihre Mutter stand in einem trägerlosen Kleid neben ihm und schirmte sich die Augen vor der Sommersonne in Margate ab. Und Renie selbst, drei oder vier Jahre alt, kuschelte sich in die Armbeuge ihres Vaters und hatte eine alberne Haube auf, mit der ihr Kopf so groß aussah wie ihr ganzer Körper. Eine kleine Hand hatte sich in das Tropenhemd ihres Vaters gekrallt, als suchte sie einen Anker gegen die starken Strömungen des Lebens.
    Renie verzog das Gesicht und blinzelte gegen die Tränen an. Es hatte keinen Zweck, dieses Bild anzuschauen. Die beiden Leute darauf waren tot, oder so gut wie. Es war ein gräßlicher Gedanke, aber bei aller Schrecklichkeit doch wahr.
    Ganz hinten in ihrer Schreibtischschublade fand sie eine letzte Ersatzbatterie, steckte sie in ihr Pad und rief bei Eddie an.
    Eddie ging dran. Das wunderte Renie nicht. Eddies Mutter Mutsie verbrachte mehr Zeit auf Kneipentouren mit ihren Freundinnen als zuhause bei ihren Kindern. Das war einer der Gründe, weshalb Eddie immer wieder in Kalamitäten geriet, und obwohl er eigentlich ein netter Junge war, war es einer der Gründe, weshalb Renie nicht wohl bei dem Gedanken war, daß Stephen sich dort aufhielt.
    Mein Gott, hab dich nicht so, Frau! dachte sie, während sie darauf wartete, daß Eddie ihren Bruder an den Apparat holte. Du benimmst dich schon wie ein altes Weib, die an allen was auszusetzen hat.
    »Renie?«
    »Ja, Stephen, ich bin’s. Alles okay mit dir? Er hat dich doch nicht geschlagen oder so?«
    »Nein. Hat mich nicht erwischt, der alte Suffkopp.«
    Trotz ihrer eigenen Wut versetzte es ihr einen Stich, daß er so über ihren Vater sprach. »Hör zu, kannst du heute nacht dort bleiben, bloß bis Papa sich wieder beruhigt hat? Laß mich mal mit Eddies Mutter reden.«
    »Sie ist nicht da, aber sie hat gesagt, es wär okay.«
    Renie runzelte die Stirn. »Sag ihr trotzdem, sie soll mich mal anrufen. Ich will mit ihr über was reden. Stephen, mach noch nicht aus!«
    »Ich bin ja da.« Er war mürrisch.
    »Was ist mit Soki? Du hast mir nie erzählt, ob er wieder zur Schule gekommen ist – nachdem ihr drei diesen Ärger hattet.«
    Stephen zögerte. »Er war krank.«
    »Ich weiß. Aber geht er jetzt wieder zur Schule?«
    »Nein. Seine Mama und sein Papa sind nach

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