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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Durban reingezogen. Ich glaube, sie wohnen bei Sokis Tante oder so.«
    Sie trommelte mit den Fingern auf das Pad, als sie merkte, daß sie beinah die Verbindung unterbrochen hätte. »Stephen, stell bitte das Bild an!«
    »Ist kaputt. Eddies kleine Schwester hat die Station umgeschmissen.«
    Renie fragte sich, ob das wirklich stimmte oder ob Stephen und sein Freund gerade irgend etwas anstellten, was sie nicht sehen sollte. Sie seufzte. Bis zu Eddies Wohnblock waren es mit dem Bus vierzig Minuten, und sie war erschöpft. Sie konnte nichts machen.
    »Du rufst mich morgen in der Arbeit an, wenn du von der Schule kommst. Wann kommt Eddies Mama wieder?«
    »Bald.«
    »Und was treibt ihr zwei heute abend, bis sie wieder da ist?«
    »Nichts.« Seine Stimme hatte eindeutig einen rechtfertigenden Ton. »Bloß’n bißchen Netz. Vielleicht’n Fußballmatch.«
    »Stephen«, hob sie an, aber ließ es dann sein. Sie konnte den Verhörston ihrer Stimme nicht leiden. Wie sollte er lernen, auf eigenen Füßen zu stehen, wenn sie ihn wie ein Baby behandelte? Sein eigener Vater hatte ihn vor wenigen Stunden erst zu Unrecht gescholten und ihn dann vor die Tür gesetzt. »Stephen, ich vertraue dir. Du rufst mich morgen an, klar?«
    »Okay.« Die Leitung klickte, und weg war er.
    Renie klopfte ihr Kissen auf und setzte sich auf ihrem Bett zurück, um eine bequeme Position für die schmerzende Kopf- und Nackenpartie zu finden. Sie hatte eigentlich vorgehabt, heute abend einen Artikel in einer Fachzeitschrift zu lesen – über Themen, die sie gerne intus hätte, wenn das nächste Mal die Beförderung zur Debatte stand –, aber sie war zu ausgelaugt, um noch etwas zustande zu bringen. Schnell was Tiefgefrorenes in die Welle und die Nachrichten gucken. Bloß nicht stundenlang wach liegen und sich rumquälen.
    Wieder ein Abend für die Katz.
     
    »Du wirkst verstört, Frau Sulaweyo. Kann ich dir irgendwie helfen?«
    Sie holte scharf Luft. »Ich heiße Renie. Ich wollte, du würdest mich langsam so nennen, !Xabbu – ich komme mir schon wie eine Oma vor.«
    »Entschuldige bitte. Es war nicht böse gemeint.« Sein schmales Gesicht war ungewöhnlich ernst. Er nahm seinen Schlips in die Hand und studierte das Muster.
    Renie wischte die Grafik vom Bildschirm, mit der sie sich die letzte halbe Stunde über abgeplagt hatte. Sie nahm sich eine Zigarette und zog den Streifen. »Nein, ich muß mich entschuldigen. Ich hatte kein Recht, an dir meine … Es tut mir leid.« Sie beugte sich vor und blickte durch den aufsteigenden Rauch auf das Himmelblau des leeren Bildschirms. »Du hast mir nie etwas von deiner Familie erzählt. Jedenfalls nicht viel.«
    Sie spürte, wie er sie anschaute. Als sie seinem Blick begegnete, empfand sie ihn als unangenehm scharf, als ob er aus ihrer Frage nach seiner Familie Rückschlüsse auf ihre eigenen Sorgen gezogen hätte. Es war ein Fehler, !Xabbu zu unterschätzen. Er hatte sich das Computerbasiswissen inzwischen angeeignet und tastete sich bereits in Bereiche vor, bei denen ihre anderen erwachsenen Studenten Zustände bekamen. Er würde bald programmreifen Code schreiben können. Und das alles binnen weniger Monate. Wenn er seine raschen Fortschritte nächtlichen Studien zu verdanken hatte, mußte er völlig ohne Schlaf auskommen.
    »Meine Familie?« fragte er. »Dort, wo ich herkomme, versteht man etwas anderes darunter. Meine Familie ist sehr groß. Aber ich nehme an, du meinst meine Mutter und meinen Vater.«
    »Und deine Schwestern. Und Brüder.«
    »Brüder habe ich keine, dafür mehrere Cousins. Ich habe zwei jüngere Schwestern, die beide noch bei meinen Leuten leben. Meine Mutter lebt auch dort, aber es geht ihr nicht gut.« Sein Gesichtsausdruck beziehungsweise dessen Fehlen deutete darauf hin, daß die Krankheit seiner Mutter keine Kleinigkeit war. »Mein Vater starb vor vielen Jahren.«
    »Das tut mir leid. Woran ist er gestorben? Wenn es dir nichts ausmacht, darüber zu reden.«
    »Sein Herz blieb stehen.« Er sagte es ganz schlicht, aber Renie wunderte sich über die Steifheit seines Tons. !Xabbu war oft förmlich, aber im Gespräch eigentlich meistens offen. Sie führte es auf einen Schmerz zurück, an den er nicht rühren wollte. Sie verstand das.
    »Wie bist du aufgewachsen, wie war das? Es muß ganz anders gewesen sein als bei mir.«
    Sein Lächeln kam wieder, aber nur ein kleines. »Da bin ich nicht so sicher, Renie. Im Delta lebten wir hauptsächlich im Freien, und das ist sicher ganz anders,

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