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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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als in der Stadt unter einem Dach zu leben – in manchen Nächten fällt es mir hier immer noch schwer einzuschlafen, muß ich gestehen. Ich gehe nach draußen und schlafe im Garten, einfach damit ich den Wind fühlen kann, die Sterne sehen kann. Meine Vermieterin findet mich sehr sonderbar.« Er lachte, und dabei gingen seine Augen fast ganz zu. »Aber ansonsten habe ich den Eindruck, daß die Kindheit überall ziemlich gleich sein muß. Ich spielte, ich stellte Fragen nach den Dingen um mich herum, manchmal tat ich etwas Verbotenes und wurde bestraft. Ich sah meine Eltern jeden Tag zur Arbeit gehen, und als ich alt genug war, bekam ich Unterricht.«
    »Unterricht? Im Okawangobecken?«
    »Nicht in einer Schule, wie du sie kennst, Renie – nicht mit einer elektronischen Bildwand und VR-Helmen. In eine richtige Schule kam ich erst viel später. Meine Mutter und ihre Verwandten nahmen mich mit und brachten mir die Dinge bei, die ich wissen sollte. Ich habe nicht behauptet, unsere Kindheit wäre identisch gewesen, nur ziemlich gleich. Als ich zum erstenmal bestraft wurde, weil ich etwas Verbotenes getan hatte, da hatte ich mich zu nahe am Fluß herumgetrieben. Meine Mutter hatte Angst, die Krokodile könnten mich erwischen. Ich nehme an, daß du deine ersten Strafen für andere Sachen bekamst.«
    »Das stimmt. Allerdings hatten wir in meiner Schule keine elektronischen Bildwände. Als ich ein kleines Mädchen war, hatten wir nichts weiter als ein paar verstaubte Mikrocomputer. Wenn sie heute überhaupt noch irgendwo stehen, dann in einem Museum.«
    »Meine Welt hat sich seit meiner Kinderzeit auch verändert. Das ist eine der Sachen, die mich hierhergeführt haben.«
    »Was meinst du damit?«
    !Xabbu schüttelte mit langsamem Bedauern den Kopf, als ob sie in der Studentenposition wäre und nicht er und sie sich in eine letztlich aussichtslose Theorie verrannt hätte. Als er sprach, wechselte er das Thema. »Hast du aus Neugier nach meiner Familie gefragt, Renie? Oder hast du mit deiner eigenen ein Problem, das dich traurig macht? Du siehst wirklich traurig aus.«
    Einen Moment lang war sie versucht, es abzustreiten oder vom Tisch zu wischen. Es kam ihr als Dozentin nicht richtig vor, sich bei einem Studenten über ihr Familienleben auszuweinen, auch wenn sie beide mehr oder weniger gleichaltrig waren. Aber !Xabbu war ihr Freund geworden – ein etwas absonderlicher Umgang aufgrund seiner Herkunft, aber dennoch ein Freund. Die Belastung, für einen kleinen Bruder die Mutterrolle übernehmen und sich um ihren geplagten und andere plagenden Vater kümmern zu müssen, hatte dazu geführt, daß sie ihre Freunde aus der Studienzeit aus den Augen verloren und nicht viele neue gefunden hatte.
    »Ich … mach mir Sorgen.« Sie schluckte, weil ihre Schwäche ihr zuwider war, das Kuddelmuddel ihrer Probleme, aber jetzt mußte sie damit heraus. »Mein Vater hat meinen kleinen Bruder vor die Tür gesetzt, und er ist erst elf. Aber verbohrt, wie mein Vater ist, meint er, es ginge ums Prinzip, und will ihn nicht eher wieder heimkommen lassen, als bis er sich entschuldigt. Stephen ist genauso stur – ich hoffe, das ist das einzige, worin er nach seinem Vater kommt.« Sie war ein wenig überrascht über ihre Vehemenz. »Das heißt, er wird nicht nachgeben. Seit drei Wochen wohnt er jetzt bei einem Freund – seit drei Wochen! Ich kriege ihn kaum zu sehen, spreche ihn kaum.«
    !Xabbu nickte. »Ich verstehe deine Sorgen. Wenn einer von meinen Leuten einen Streit mit seiner Familie hat, zieht er manchmal zu anderen Verwandten. Aber wir leben sehr eng zusammen, und alle sehen sich sehr häufig.«
    »Das ist genau der Punkt. Stephen geht weiter zur Schule – ich hab mich im Rektorat erkundigt –, und Eddies Mutter, die Mutter von diesem Freund, sagt, es geht ihm gut. Ich weiß allerdings nicht, wie weit ich ihr traue, das kommt noch dazu.« Sie stand auf und ging vor sich hinqualmend zur gegenüberliegenden Wand, um sich Bewegung zu verschaffen. »Jetzt wälze ich die Sache schon wieder hin und her. Aber es paßt mir nicht. Zwei dumme Männer, ein großer und ein kleiner, und keiner von beiden wird zugeben, daß er im Unrecht ist.«
    »Aber du sagtest, dein jüngerer Bruder sei nicht im Unrecht«, wandte !Xabbu ein. »Sicher, wenn er sich entschuldigen würde, dann wäre das ein Zeichen der Achtung vor seinem Vater – aber wenn er eine Schuld auf sich nimmt, die ihm gar nicht zukommt, dann beugt er sich damit auch einer

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