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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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ungefähr ein Jahr, bevor du dazukamst, gekriegt.« Er schaute auf seine Füße hinunter, die in Sandalen unter dem Umhang hervorschauten. »Ich wette, in meinen Haaren ist auch keine Spur von Grau, stimmt’s?«
    Fredericks musterte ihn. »Stimmt. Ich hab Thargor noch nie ohne ein paar graue Strähnen gesehen. Woher hast du das gewußt?«
    Er fühlte sich schon wieder sehr müde. »Wegen der Sandalen und dem Schwert – ich bin der junge Thargor, so wie er aussah, als er zum erstenmal aus den Bergen von Borrikar kam. Die grauen Haare hat er erst bei seinem ersten Kampf mit Dreyra Jarh bekommen, unten im Schacht der Seelen.«
    »Aber warum?«
    Orlando zuckte mit den Achseln und ließ sich langsam zurück auf den Boden sinken, um sich wieder dem sanften Ziehen des Schlafes zu ergeben. »Ich weiß nicht, Frederico. Ich weiß gar nichts …«
     
    Er sank in einen unruhigen Halbschlaf, während der Tag in die Nacht überging. Einmal schrak er auf und wurde beinahe ganz wach, weil jemand schrie, aber das Geräusch kam von weither und war vielleicht auch nur ein Traum. Von Fredericks keine Spur. Orlando fragte sich benebelt, ob sein Freund weggegangen war, um nachzuschauen, wer da geschrien hatte, aber Mattheit und Krankheit verklebten ihm die Gedanken, und ansonsten schien nichts sehr wichtig zu sein.
     
    Es war wieder hell. Jemand weinte, und dieses Geräusch war ganz nahe. Orlando bekam davon Kopfschmerzen. Er stöhnte und versuchte, sich sein Kissen über die Ohren zu legen, aber seine greifenden Finger waren voller Sand.
    Er quälte sich in die Höhe. Fredericks kniete mit dem Gesicht in den Händen und bebenden Schultern wenige Schritte entfernt. Es war ein strahlender Morgen, und die Reste des nächtlichen Fiebers ließen das virtuelle Strand- und Ozeanpanorama noch schärfer und surrealer erscheinen.
    »Fredericks? Hast du was?«
    Sein Freund blickte auf. Tränen flossen über das Gesicht des Diebes. Die Simulation hatte sogar seine Wangen gerötet, aber am eindrucksvollsten war der verzweifelte Ausdruck in seinen Augen. »Oh, Gardiner, wir sind am Arsch.« Fredericks rang schwer nach Atem. »Wir sitzen absolut in der Tinte.«
    Orlando fühlte sich wie ein Sack mit nassem Zement. »Was redest du da?«
    »Wir hängen fest. Wir können nicht offline gehen!«
    Orlando seufzte und ließ sich wieder auf den Boden sacken. »Wir hängen nicht fest.«
    Fredericks kroch blitzschnell über die kurze Distanz zwischen ihnen und packte ihn an der Schulter. »Verdammt nochmal, erzähl mir keinen Scheiß! Ich bin rausgegangen, und es hätte mich fast umgebracht!«
    Noch nie zuvor hatte sein Freund dermaßen erregt geklungen. »Umgebracht?«
    »Ich wollte offline gehen. Ich hab mir immer mehr Sorgen um dich gemacht, und ich dachte mir, vielleicht sind deine Eltern irgendwo weg und wissen gar nicht, daß du krank bist – vielleicht bräuchtest du ’nen Krankenwagen oder so. Aber als ich’s versucht hab, konnte ich mich nicht ausstöpseln. Die normalen Befehle haben alle nichts bewirkt, und ich konnte nichts wahrnehmen, was nicht Teil dieser Simulation ist – mein Zimmer nicht, gar nichts!« Er faßte sich wieder ins Genick, diesmal aber vorsichtiger. »Und es ist keine T-Buchse zu fühlen! Mach doch, versuch’s mal!«
    Orlando faßte an die Stelle, wo seine Neurokanüle eingesetzt worden war. Er konnte nichts fühlen als Thargors mächtige Muskeln. »Echt, du hast recht. Aber so Simulationen gibt’s – sie kaschieren einfach die Steuerungspunkte und manipulieren die Taktoren. Bist du nicht mal mit mir auf dem Dämonenspielplatz gewesen? Da hat man nicht mal mehr Arme und Beine – man ist bloß noch ein Haufen Ganglien in einen Raketenschlitten geschnallt.«
    »Menschenskind, Gardiner, hör doch mal zu! Das sind keine Theorien – ich war offline. Meine Eltern haben die Buchse rausgezogen. Und es hat weh getan, Orlando. So weh hat mir im Leben noch nichts getan – es war, wie wenn sie mir damit das Rückgrat rausgezogen hätten, wie wenn mir jemand heiße Nadeln in die Augen stechen würde, wie … wie … Ich kann dir gar nicht sagen wie. Und es hörte nicht auf. Ich konnte nichts machen, als … als schreien und schreien …« Schaudernd brach Fredericks ab und konnte eine Weile nicht weiterreden. »Es hörte erst auf, als meine Eltern die Buchse wieder reinsteckten – ich konnte nicht mal mit ihnen reden! –, und zack! war ich wieder hier.«
    Orlando schüttelte den Kopf. »Bist du sicher, daß es nicht bloß … was

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