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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Papi bestimmt hören und ganz wütend aus dem Zimmer kommen. Als sie mit weiten Augen und hämmerndem Herzen hinter dem weggelaufenen Otter herkroch, kam ihre Mutter um die Ecke und wäre beinahe über sie gestolpert.
    Christabel kreischte auf.
    »Mike, ich wünschte, du würdest dir mal ein wenig Zeit für deine Tochter nehmen«, rief ihre Mutter durch die geschlossene Tür des Arbeitszimmers. »Erklär ihr, daß sie keine Angst haben muß. Die arme Kleine ist ein einziges Nervenbündel.«
    Christabel aß ihre Suppe im Bett.
     
    Mitten in der Nacht wachte Christabel mit einem Schreck auf. Herr Sellars hatte sie gebeten, die neue MärchenBrille nach der Schule aufzusetzen, aber sie hatte es nicht getan! Sie hatte es vergessen, weil sie früher nach Hause gegangen war.
    Sie ließ sich so leise wie möglich auf den Fußboden gleiten und rutschte unters Bett, wo sie sie versteckt hatte. Sie hatte die alte Brille mit in die Schule genommen und in der Pause in die Müllklappe vor dem Klassenzimmer geworfen, genau wie Herr Sellars es ihr gesagt hatte.
    Unter dem Bett war ihr zumute, als wäre sie in der Höhle der Winde im Otterland. Sie dachte eine Weile darüber nach, ob es in Wirklichkeit so einen Ort geben mochte, aber da keine Otter mehr übrig waren außer denen, die im Zoo lebten – das hatte ihr Papi ihr erzählt –, gab es wahrscheinlich auch keine Höhle der Winde mehr.
    Die Brille blinkte nicht und tat keinen Mucks. Sie setzte sie auf, aber da stand keine Mitteilung, und das jagte ihr noch einmal einen Schreck ein. Ob Herrn Sellars unten in der Erde etwas zugestoßen war, als das Haus in die Luft flog? Vielleicht lag er verletzt und hilflos dort unten in den Tunneln.
    Ihr Finger tippte auf den Schalter. Die Brille ging immer noch nicht an, aber als Christabel gerade dachte, sie wäre vielleicht kaputt, sagte jemand ganz leise »Christabel?« in ihr Ohr. Sie fuhr hoch und knallte mit dem Kopf an die Unterseite des Bettes. Als sie sich schließlich traute, nahm sie die Brille ab und steckte den Kopf hervor, aber obwohl alles dunkel war, konnte sie erkennen, daß niemand im Zimmer war. Sie setzte die Brille wieder auf.
    »Christabel«, sagte die Stimme wieder, »bist du das?« Es war Herr Sellars, begriff sie plötzlich, der durch die Brille mit ihr redete.
    »Ja, ich bin’s«, flüsterte sie.
    Plötzlich sah sie ihn vor sich in seinem Rollstuhl sitzen. Nur eine Hälfte seines verlaufenen Gesichts war vom Licht beschienen, so daß er noch gruseliger als sonst aussah, aber sie war froh, daß er offensichtlich weder verletzt noch tot war.
    »Es tut mir leid, daß ich sie nicht eher aufgesetzt habe…«, begann sie.
    »Ja ja. Laß gut sein. Es ist alles in Ordnung. Hör zu, wenn du von heute an mit mir reden möchtest, setzt du die Brille auf und sagst das Wort… tja, warte mal…« Er runzelte die Stirn. »Wie wär’s, wenn du ein Wort aussuchst, kleine Christabel. Irgendein Wort deiner Wahl, aber eines, das die Leute nicht sehr oft sagen.«
    Sie überlegte angestrengt. »Wie war noch mal der Name von diesem Männchen im Märchen?« flüsterte sie. »Der Name, den das Mädchen raten mußte.«
    Ein Lächeln trat langsam auf Herrn Sellars’ Gesicht. »Rumpelstilzchen? Das ist sehr gut, Christabel, sehr gut. Sag den Namen einmal, damit ich ihn eingeben kann. Prima. Und damit kannst du mich jeden Tag nach der Schule anrufen, vielleicht auf dem Heimweg, wenn du allein bist. Ich muß jetzt ein paar sehr schwierige Sachen machen, Christabel. Vielleicht die wichtigsten Sachen, die ich je gemacht habe.«
    »Wirst du noch mehr Sachen in die Luft sprengen?«
    »Meine Güte, ich hoffe nicht. Hattest du große Angst? Ich habe den Knall gehört. Du hast das ausgezeichnet gemacht, Liebes. Du bist ein sehr, sehr tapferes Mädchen, und du würdest eine großartige Revolutionärin abgeben.« Er lächelte abermals auf seine schiefe Weise. »Nein, es wird nichts mehr in die Luft fliegen. Aber ich werde trotzdem ab und zu deine Hilfe brauchen. Viele Leute werden nach mir suchen.«
    »Ich weiß. Mein Papi hat sich mit Captain Parkins über dich unterhalten.« Sie erzählte ihm alles, woran sie sich erinnern konnte.
    »Na, da kann ich mich ja nicht beschweren«, sagte Herr Sellars. »Und du, kleines Fräulein, solltest jetzt wieder schlafen gehen. Ruf mich morgen an. Vergiß nicht, einfach die Brille aufsetzen und ›Rumpelstilzchen‹ sagen.«
    Als der komische alte Mann fort war, nahm Christabel die Märchen-Brille ab und kroch

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