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Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten

Titel: Otherland 1: Stadt der goldenen Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Stadt war da, also mußte er träumen, denn die Stadt war etwas aus einem Traum.
    Aber Fredericks kam auch in dem Traum vor.
    Ein anderer Gedanke, kalt und hart wie ein Stein, schlug in seine Fieberphantasien ein.
    Ich sterbe. Ich bin in diesem scheußlichen Crown Heights Medical Center, und ich bin an einen Haufen Apparate angekoppelt. Mein Leben läuft aus, und übrig ist nur noch dieser eine kleine Teil meines Bewußtseins, der sich aus ein paar Gehirnzellen und ein paar Erinnerungen eine ganze Welt baut. Und Vivien und Conrad sitzen wahrscheinlich am Bett und leisten ihre Trauerarbeit, aber sie wissen nicht, daß ich noch hier drin bin. Ich bin noch hier drin! Gefangen im obersten Stockwerk eines brennenden Hauses, und die Flammen steigen nach oben, eine Etage nach der andern, und alle Feuerwehrmänner geben auf und gehen nach Hause…
    Ich bin noch hier drin!
     
    »Orlando, wach auf! Du hast schlecht geträumt oder so. Wach auf! Ich bin da.«
    Er schlug die Augen auf. Ein verlaufener Fleck aus Pink und Braun wurde langsam zu Fredericks.
    »Ich sterbe.«
    Einen Moment lang wirkte sein Freund erschrocken, doch Orlando sah, wie er die Angst unterdrückte. »Nein, tust du nicht, Gardiner. Du hast bloß Grippe oder sowas.«
    Es war seltsam, aber Fredericks dabei zu beobachten, wie er sich eine aufmunternde Bemerkung abquälte, auch wenn sie mit Sicherheit nicht ehrlich gemeint war, hatte zur Folge, daß es ihm besser ging. Jede Halluzination, in der Fredericks sich so sehr wie Fredericks benahm, war praktisch genauso gut wie das reale Leben. Eine Wahl hatte er sowieso nicht.
    Der Schüttelfrost war abgeklungen, wenigstens fürs erste. Er setzte sich auf, den Umhang immer noch fest um sich geschlungen. Sein Kopf fühlte sich an, als hätte man ihn gekocht, bis das Gehirn verdampft und hinausgezischt war. »Hast du was von einer Insel gesagt?«
    Erleichtert setzte Fredericks sich neben ihn. Mit der eigentümlich geschärften Wahrnehmung eines Menschen, dessen Fieber im Abklingen ist, bemerkte Orlando die abrupte, bärenartige Tapsigkeit, mit der sich sein Freund bewegte.
    Er bewegt sich ganz gewiß nicht wie ein Mädchen. Die Tatsache von Fredericks’ realem Geschlecht trat langsam in den Hintergrund. Eine Weile überlegte er, wie Fredericks – Salome Fredericks – in Wirklichkeit aussehen mochte, dann schob er den Gedanken beiseite. Hier sah er aus wie ein Junge, er bewegte sich wie einer, er wollte wie einer behandelt werden – was konnte Orlando dagegen einwenden?
    »Ich denke, das hier ist eine. Eine Insel, meine ich. Ich hab mich umgeschaut, ob sich nicht ein Boot auftreiben läßt – ich hätte auch eins stehlen können, weil ich zur Zeit ja Pithlit bin. Aber außer uns ist hier niemand.« Fredericks hatte auf die phantastische Stadtkulisse jenseits des Wassers gestarrt, aber jetzt wandte er sich wieder Orlando zu. »Wieso bin ich eigentlich Pithlit? Was läuft hier überhaupt, was glaubst du?«
    Orlando schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich wünschte, ich wüßte es. Diese Kinder wollten uns zu irgendwem bringen, dann war von einem ›großen Loch irgendwohin‹ die Rede, und daß sie uns ›dranhängen‹ wollten.« Er schüttelte abermals den Kopf, der sich ungemein schwer anfühlte. »Ich weiß es einfach nicht.«
    Pithlit wedelte mit der Hand vor seinem eigenen Gesicht herum und betrachtete sie stirnrunzelnd. »Ich hab noch nie von sowas wie hier im Netz gehört. Alles bewegt sich genau wie im richtigen Leben. Und es gibt Gerüche! Alles! Schau dir mal den Ozean an.«
    »Ich weiß.«
    »Also, was machen wir jetzt? Ich schlage vor, wir bauen ein Floß.«
    Orlando blickte zur Stadt hinüber. Jetzt, wo sie so nah war, so … wirklich … hatte er Bedenken. Wie sollte etwas, das derart handgreiflich aussah, vor den Träumen bestehen können, die er sich davon gemacht hatte? »Ein Floß? Wie wollen wir das anstellen? Hast du deinen Werkzeugkasten ›Der kleine Handwerker‹ mitgebracht?«
    Fredericks schnitt ein genervtes Gesicht. »Es gibt Palmen und Lianen und alles mögliche. Dein Schwert liegt da drüben. Es ist zu machen.« Er krabbelte über den Sand und hob das Schwert auf. »He. Das ist nicht Raffzahn.«
    Orlando starrte auf den einfachen Griff, die blanke Klinge, die im Vergleich zu Raffzahns Runenverzierung ganz nackt wirkte. Sein Energieschub verging, sein Denken stumpfte wieder ab. »Das ist mein erstes – das Schwert, das Thargor hatte, als er in Mittland anfing. Raffzahn hat er

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