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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Otterland-Uhr schon drei Minuten nach 15:00 Uhr. Sie stellte ihr Fahrrad woanders ab, an einer Mauer, die weit von den Häuschen entfernt war, und schlich dann ganz leise zwischen den Bäumen hindurch, damit sie von einer anderen Seite kam. Obwohl Prinz Pikapik 15:09 zwischen den Pfoten hielt, als sie wieder auf die Uhr schaute, blieb sie alle paar Schritte stehen, um sich umzusehen und zu lauschen. Da sie diesem Cho-Cho seit drei Tagen nichts mehr gebracht hatte, hoffte sie, daß er sich woanders etwas zu essen suchte, aber sie guckte trotzdem überall für den Fall, daß er sich in den Bäumen versteckte.
    Da sie ihn nicht sah und nichts hörte außer ein paar Vögeln, begab sie sich zur Tür des achten Betonhäuschens, wobei sie wie jedesmal sorgfältig mitzählte. Sie schloß die Tür auf und zog sie dann hinter sich zu, obwohl das Dunkel genauso gruselig war wie ihre Träume von dem schmutzigen Jungen. Es dauerte so lange, bis ihre Hände die andere Tür gefunden hatten, daß sie fast schon weinte, als die Tür plötzlich aufging und rotes Licht hervorströmte.
    »Christabel? Da bist du ja, mein Liebes. Du bist spät dran – ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht.«
    Herr Sellars saß am Fuß der Metalleiter in seinem Rollstuhl, eine kleine viereckige rote Taschenlampe in der Hand. Er sah genauso aus wie immer: langer dünner Hals, verbrannte Haut, große freundliche Augen. Sie fing an zu weinen.
    »Kleine Christabel, was ist denn? Warum weinst du, mein Liebes? Nicht doch, komm herunter und sprich mit mir.« Er streckte seine zittrigen Hände aus, um ihr die Leiter hinunterzuhelfen. Sie umarmte ihn.
    Als sie seinen dünnen Körper wie ein Gerippe unter seinen Sachen fühlte, mußte sie noch mehr weinen. Er tätschelte ihr den Kopf und sagte immer wieder: »Na na, na na.«
    Als sie wieder Luft bekam, putzte sie sich die Nase. »Tut mir leid«, sagte sie. »Es ist alles meine Schuld.«
    Seine Stimme war sehr sanft. »Was ist alles deine Schuld, meine kleine Freundin? Was kannst du denn getan haben, das soviel Kummer wert wäre?«
    »Oye, Tussi, was is das?«
    Christabel sprang auf und stieß einen kleinen Schrei aus. Sie drehte sich um und sah den schmutzigen Jungen oben an der Leiter knien, und da hatte sie solche Angst, daß sie sich in die Hose machte wie ein Baby.
    »Quién es, der alte Krüppel da?« fragte er. »Sag, mija – wer is?«
    Christabel konnte nichts sagen. Ihre bösen Träume passierten in der wirklichen Welt. Sie fühlte das Pipi ihre Beine hinunterrinnen und fing abermals an zu weinen. Der Junge hatte auch eine Taschenlampe, und er leuchtete Herrn Sellars damit von Kopf bis Fuß ab. Dieser starrte ihn bloß mit offenhängendem Mund an und bewegte ein wenig die Lippen auf und ab, doch es kam kein Laut heraus.
    »Na, egal, mu’chita«, sagte der Junge. Er hatte etwas in der anderen Hand, etwas Scharfes. »No importa, eh? Jetzt ’ab ich dich. Jetzt ’ab ich dich.«
     
     
    > »Natürlich sehe ich ein, daß Vorsicht am Platz ist«, sagte Herr Fredericks. Er streckte die Arme aus und starrte den grünen Operationskittel an, den man ihm aufgenötigt hatte. »Aber ich finde es trotzdem ein bißchen übertrieben.« Jaleel Fredericks war ein großer, breiter Mann, und wenn eine finstere Miene auf seinem dunkelhäutigen Gesicht erschien, hatte man den Eindruck einer Schlechtwetterfront.
    Catur Ramsey setzte zum Ausgleich eine beflissene Miene auf. Die Fredericks’ waren nicht seine wichtigsten Mandanten, aber beinahe, und zudem noch jung genug, um auf Jahre hinaus gute Geschäfte zu versprechen. »Es ist nicht so viel anders als das, was wir über uns ergehen lassen müssen, um Salome zu besuchen. Das Krankenhaus ist einfach vorsichtig.«
    Fredericks blickte abermals finster, vielleicht weil der volle Name seiner Tochter gefallen war. Seine Frau Enrica quittierte seine Miene kopfschüttelnd mit einem Lächeln, als ob ein widerspenstiges Kind soeben beim Essen gekleckert hätte. »Eben«, sagte sie, womit sich ihre Inspiration erschöpft zu haben schien.
    »Wo zum Teufel bleiben sie überhaupt?«
    »Sie haben angerufen und Bescheid gesagt, daß sie sich ein paar Minuten verspäten«, bemerkte Ramsey rasch und fragte sich gleichzeitig, warum er sich benahm wie der Vermittler eines Gipfeltreffens. »Ich bin sicher…«
    Die Tür zum Aufenthaltsraum schwang auf, und zwei Leute kamen herein, ebenfalls in Krankenhauskittel gekleidet. »Entschuldigt bitte die Verspätung«, sagte die Frau. Ramsey fand

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