Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
ihnen an, und Ramsey bildete die Nachhut und konnte sich in dieser Eigenschaft erlauben, kurzzeitig seine Würde zu vergessen und in den papierenen Krankenhausschuhen dezente Schlitterversuche zu machen.
    Er kam in letzter Zeit nicht genug an die frische Luft, kein Zweifel. Ramsey wußte, wenn er sich nicht ernsthaft bemühte, etwas weniger zu arbeiten, würde er im günstigsten Fall irgendwann einmal einen Mandanten damit schockieren, daß er mitten in einer ernsten Besprechung in ein unpassendes Gelächter ausbrach, wie es ihm in den letzten Wochen ein paarmal um ein Haar passiert wäre, oder im schlimmsten Fall würde er eines Tages tot über seinem Schreibtisch zusammenklappen, wie es seinem Vater passiert war. Noch ein Jahrzehnt – ach was, weniger –, und er war in den Fünfzigern. Männer über fünfzig starben immer noch an Herzinfarkt, einerlei wie viele moderne Medikamente und Zellverpflanzungen und Herztherapien es geben mochte.
    Aber so war das nun mal mit der Arbeit, nicht wahr? Es sah immer so aus, als könnte man sie jederzeit hinlegen oder auf ein vernünftiges Maß herunterfahren oder einfach ignorieren, wenn es wirklich sein mußte. Doch aus der Nähe besehen, stellte sich die Sache anders dar. Dann war es nicht einfach Arbeit, es war das heillose Kuddelmuddel des DeClane Estate, aus dem ein grauenhaftes theatralisches Gemetzel geworden war, das drei Generationen paralysiert hatte. Oder es war der Versuch des alten Perlmutter, die Firma zurückzugewinnen, die er aufgebaut und dann durch einen Coup in der Vorstandsetage verloren hatte. Oder Gentian Tsujimoto, eine Witwe, die um eine Entschädigung dafür kämpfte, daß die Krankheit ihres Mannes falsch behandelt worden war. Oder im Fall Fredericks war es der Versuch der Eltern, bei der äußerst mysteriösen Krankheit ihrer Tochter zumindest die Rechtslage irgendwie zu klären, weil jede Klärung besser war als gar keine.
    Wenn er sich jetzt also sagte, daß er sein Arbeitspensum reduzieren müsse, welchen Leuten wollte er dann »Tut mir leid« sagen? Welches Vertrauen, das zu verdienen er sich sein ganzes Arbeitsleben über bemüht hatte, welche wichtige Verbindung, welches faszinierende Rätsel, welche herzzerreißende Tragödie wollte er drangeben?
    Es war gut und schön, es sich vorzunehmen, und auf keinen Fall wollte er seinem Vater in die Erste Klasse des Bypass-Expresses folgen, aber wie stellte man es an, die wichtigsten Teile seines Lebens abzustoßen, und sei es zu dem Zweck, dieses Leben zu retten? Es wäre etwas anderes, wenn es außerhalb des Büros viel gegeben hätte, wofür eine solche Rettung sich lohnen würde…
    Halb hoffte Catur, eigentlich Decatur Ramsey (»Sag bitte Catur zu mir, so hat meine Mutter mich immer genannt«), daß die ominösen Andeutungen der Gardiners zu etwas führten, das so außerordentlich war, wie das kalifornische Paar zu meinen schien. Ein Karrierefall. Eine Sache, mit der man nicht bloß in die juristische Fachliteratur kam, sondern zu einer Erscheinung des öffentlichen Lebens wurde wie Kumelos oder Darrow. Aber der Teil von ihm, der zu viele Nächte lang einen mit Dokumenten überfüllten Wandbildschirm angeglotzt hatte, bis ihm die Augen weh taten, der diktierte, bis er heiser war, und dabei versuchte, an einem hastig dazwischengeschobenen Happen vom Birmanen an der Ecke nicht zu ersticken, dieser Teil konnte nicht anders als hoffen, daß die Gardiners seiner eigenen Einschätzung zum Trotz doch komplette Spinner waren.
     
    Als sie den Kopfschutz übergezogen hatten und durch die Ultraschalldesinfektion getreten waren, hatte Herr Fredericks den nächsten Anfall von Verstimmung. »Wenn euer Sohn das gleiche hat wie Sam, wieso ist dann das alles notwendig?«
    »Jaleel, sei nicht so störrisch.« Seiner Frau fiel es schwer, ihre Unruhe zu verbergen. Ramsey hatte sie am Bett ihrer Tochter gesehen und wußte, daß sie sich unter der Oberfläche der schicken Kleider und der gefaßten Züge an die Normalität klammerte wie ein Schiffbrüchiger an eine Spiere.
    »Schon gut«, sagte Vivien. »Ich nehme dir die Frage nicht übel. Eure Salome ist in einer etwas anderen Situation.«
    »Was heißt das?« fragte Frau Fredericks.
    »Sam, nicht Salome.« Ihr Mann wartete die Antwort auf ihre Frage nicht ab. »Ich weiß nicht, wieso ich mich von Enrica zu diesem Namen habe überreden lassen. Sie war eine schlechte Frau. In der Bibel, meine ich. Wie kann man ein Kind nur so nennen?«
    »Oh, bitte, Schätzchen.«

Weitere Kostenlose Bücher