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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hinteren Ende der großen Halle herbei. Die anderen Priester beeilten sich, den Weg freizumachen, aber einige schafften es nicht mehr und wurden von den Trägern der gewaltigen Last umgestoßen und niedergetrampelt. Osiris atmete tief durch, um sich zu beruhigen, um die friedliche Mitte zu finden, wo Probleme gelöst wurden und der Tod selbst so oft schon überlistet worden war. Die Priesterschar, unter dem ungeheuren Gewicht stöhnend, stemmte den blank polierten Bronzespiegel vor ihm in die Höhe.
    Osiris erhob sich, und selbst in diesem Augenblick vermerkte er dabei mit einer gewissen Befriedigung die Majestät, mit der der Herr des Westens vor seinem Thron stand. Er schritt vor, bis er nichts mehr sehen konnte als sein eigenes bronzenes Spiegelbild, verharrte noch einmal kurz und trat dann hindurch.
     
    Bis auf ein halbes Dutzend Männer in wüstenbleichen Gewändern war der Tempel verlassen. Die Priester-Techniker waren derart aufgeregt, daß keiner mehr daran dachte, niederzuknien, als Osiris erschien, aber der Gott schob sein Mißfallen fürs erste beiseite. »Ich konnte eure Mitteilung nicht verstehen. Was gibt es?«
    Der leitende Ingenieur deutete auf die Tür zur Grabkammer. »Wir kommen nicht durch. Es … er… läßt uns nicht.«
    Osiris fand den Mann eigenartig aufgewühlt, seine Energie beinahe fiebrig. »Meinst du das metaphorisch?«
    Der Priester schüttelte den Kopf. »Er verweigert die Kommunikation, aber seine Werte sind sehr, sehr niedrig. Erschreckend niedrig.« Er holte Atem und fuhr sich mit den Händen durch Haare, die den kahlköpfigen Sim nicht zierten. »Es ging vor ungefähr einer Stunde los, ein ganz jäher Sturz. Deshalb versuchte Freimann mit ihm zu kommunizieren – einfach um zu sehen, ob er dazu noch imstande war oder ob er … ich weiß nicht, wie man das nennen soll. Ob er krank war.« Wieder das Zittern in der Stimme des Priesters, als ob er jeden Moment in Lachen oder Weinen ausbrechen könnte.
    »Jemand anders als ich hat mit ihm gesprochen?«
    Das Kopfschütteln war jetzt noch nachdrücklicher. »Freimann hat’s versucht. Ich hab ihm gesagt, wir sollten auf dich warten. Aber er stand in der Befehlshierarchie über mir und setzte sich deshalb gegen mich durch. Er stellte die Direktverbindung her und versuchte es mit sprachlicher Kommunikation.«
    »Und nichts geschah.«
    »Nichts? Nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Freimann ist tot.«
    Der Gott schloß einen kurzen Moment die Augen. Das also war der Grund für den überdrehten Zustand des Technikers. Hatte er jetzt zwei Krisen auf einmal am Hals, einen Koller des Andern und eine Meuterei seiner gedungenen Lakaien? »Berichte.«
    »Da gibt’s nicht viel zu berichten. Er… stellte einfach die Verbindung her. Fragte, ob … ob der Andere da wäre. Ob er … etwas bräuchte. Dann machte Freimann so ein komisches Geräusch und … und verstummte einfach. Sein Sim wurde starr. Kenzo ging offline und begab sich zu ihm. Er lag auf dem Bürofußboden und blutete aus der Nase und den Augenwinkeln. Schwere Gehirnblutung, soweit wir sehen können.«
    Osiris schluckte einen unwillkürlichen Fluch hinunter; es erschien ihm ungebührlich, andere Gottheiten in seine eigene Gottwelt einzuführen, und sei es nur namentlich. »Kümmert sich jemand um die Sache?«
    »Die Sache?« Dem Techniker entfuhr ein ersticktes Lachen. »Du meinst Freimann? Ja, der Sicherheitsdienst ist benachrichtigt. Falls du die andere Sache meinst, davon lassen wir alle die Hände weg. Die Demonstration war überzeugend. Er will nicht mit uns reden, wir nicht mit ihm.« Wieder das Lachen, auf der Kippe, in etwas anderes umzuschlagen. »Ich muß sagen, das war nicht in der Tätigkeitsbeschreibung enthalten.«
    »Reiß dich zusammen, Mensch. Wie ist dein Name?«
    Der Priester wirkte konsterniert – als ob ein Gott Zeit hätte, sich von jedem einzelnen seiner Anhänger den Namen zu merken. »Mein richtiger Name?«
    Hinter der Gottesmaske rollte Osiris mit den Augen. Die Disziplin ging offenbar völlig vor die Hunde. Er mußte sich etwas ausdenken, um diese ganze Abteilung wieder auf Vordermann zu bringen. Er hatte gemeint, er hätte hartgesottene Burschen angestellt. Anscheinend hatte er den Effekt des täglichen Kontakts mit dem Andern unterschätzt.
    »Dein ägyptischer Name. Und bitte etwas plötzlich, oder der Sicherheitsdienst wird auch bei deinem Büro vorbeischauen müssen.«
    »Oh. Oh. Ich heiße Seneb, Sir. Herr.«
    »Seneb, mein Diener, es gibt

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