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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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noch mehr nervten.
    Der Mann tat Jeremiah ehrlich leid. Joseph hatte seine Frau durch einen langsamen, furchtbaren Tod verloren, sein Sohn hatte eine todesähnliche mysteriöse Krankheit, und jetzt hatte seine Tochter sich in eine Gefahr begeben, in der sie für ihn unerreichbar, wenn auch auf grausame, verwirrende Weise körperlich nah war. Jeremiah sah ein, daß Long Joseph schrecklich litt und daß ihm mit dem Alkohol eine seiner wenigen emotionalen Krücken genommen war, aber das änderte nichts daran, daß ihn das Murmeln und das Herumtigern und das ständige idiotische Geleier bald verrückter machen würden, als Long Joseph je werden konnte.
    Und daher war es die Stille – die Tatsache, daß von Josephs Liedern nicht einmal das fernste Flüstern zu hören war –, die ihn jetzt mitten in der Nacht aufschrecken ließ, mehrere Stunden vor dem nächsten Schichtwechsel.
     
    Jeremiah Dako hatte das Armeefeldbett zum Teil deswegen in das unterirdische Labor hinuntergeschleift, weil mit der Zeit die Schichten immer länger wurden, in denen er auf die V-Tanks aufpaßte und für Long Joseph einsprang, wenn dieser zu spät von einem seiner ziellosen Gänge durch den Komplex zurückkehrte – oder wenn er manchmal gar nicht auftauchte. Wenigstens war das der Grund, den er nicht ohne eine gewisse Vehemenz angab, als Joseph Sulaweyo wissen wollte, weshalb er ein Bett ins Labor gestellt habe.
    Aber in einem dunklen Teil seines Innern hatte er auch begonnen, das Vertrauen in Long Joseph zu verlieren. Jeremiah fürchtete, daß der andere Mann in einem Anfall von Verzweiflung die Tanks oder die Anlage, die sie betrieb, in irgendeiner Weise beschädigen könnte.
    Während er jetzt in der Dunkelheit des Büroraums lag, den er sich zu seinem Notschlafzimmer erkoren hatte, und der höchst ungewohnten Stille lauschte, fühlte er, wie ein kühler Wind der Furcht ihn durchwehte. War es jetzt endlich passiert? Oder war er selbst einfach nervlich zu angespannt? Wochenlang in einer verlassenen unterirdischen Militärbasis eingesperrt zu sein und dem Echo der eigenen Schritte und dem Gemurmel eines Verrückten zu lauschen, war der geistigen Gesundheit nicht gerade zuträglich. Vielleicht erschrak er schon vor Schatten – oder vor einer harmlosen Stille.
    Jeremiah ächzte leise und stand auf. Sein Herz schlug nur ein klein wenig schneller als normal, aber er wußte, daß er keine Chance hatte, wieder einzuschlafen, ehe er sich selbst davon überzeugt hatte, daß Long Joseph Sulaweyo auf dem Stuhl vor den Tankanzeigen saß. Oder vielleicht auf der Toilette war – selbst Jeremiah verließ während seiner Schicht hin und wieder den Raum, um einem natürlichen Drang nachzugeben oder sich einen Kaffee zu machen oder sich einfach durch einen der Belüftungsschächte ein wenig kalte Luft ins Gesicht blasen zu lassen.
    Das war es höchstwahrscheinlich.
    Jeremiah schlüpfte in ein Paar alte Pantoffeln, die er in einem der Spinde gefunden hatte – ein Komfort, durch den er sich wenigstens ein klein bißchen heimisch fühlte –, und trat auf den Laufsteg hinaus, um auf die Ebene hinunterzuschauen, auf der die Bedienerkonsolen standen.
    Der Stuhl war leer.
    Noch immer sehr bewußt um Ruhe bemüht schritt er auf die Treppe zu. Long Joseph war bestimmt in der Küche oder auf der Toilette. Jeremiah würde einfach die Tanks beobachten, bis er zurückkam. Es gab sowieso nicht viel zu tun außer den immergleichen Tätigkeiten, das Wasser und andere Flüssigkeiten pünktlich nachzufüllen und das Sanitärsystem zu spülen und neue Filter einzusetzen. Und was konnte man sonst überhaupt tun, als Renie und !Xabbu aus den Tanks zu ziehen? Und das hatte Renie ausdrücklich verboten, solange kein ernster Notfall eintrat. Das Kommunikationssystem war schon am ersten Tag zusammengebrochen, und zwar, wie sich herausgestellt hatte, so gründlich, daß es für Jeremiah irreparabel war. Also selbst wenn Long Joseph irgendwo eine Runde drehte, war es nicht, als hätte er mitten in einer Seeschlacht das Steuer des Schiffes verlassen oder so.
    Alle Werte waren normal. Jeremiah überprüfte sie zweimal, um ganz sicherzugehen. Als sein Blick zum zweitenmal die Station überflog, bemerkte er das schwache Licht des Grafikbildschirms. Der Lichtstift lag daneben, das einzige an der ganzen Station, was sich nicht im rechten Winkel zu etwas anderem befand, eine einzelne minimale Unordentlichkeit, aber aus irgendeinem Grund ließ sie Jeremiah erschauern, als er sich

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