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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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vorbeugte, um den Bildschirm zu lesen.
    ICH HALTS NICHT MEHR AUS, stand da in plumper Schrift, die schwarz vom Leuchten des Bildschirms abstach. ICH WILL BEI MEINEM KIND SEIN.
    Jeremiah las es noch zweimal, und während er daraus schlau zu werden versuchte, kämpfte er gleichzeitig gegen das würgende Gefühl der Panik an. Was wollte der Mann damit sagen: bei seinem Kind? Bei Renie? Meinte er etwa, er könne zu ihr, indem er einfach in den Tank stieg? Jeremiah mußte den Drang bezähmen, die großen Deckel aufzuklappen und sich zu vergewissern, daß der Wirrkopf sich nicht neben seine bewußtlose Tochter in das plasmodale Gel gelegt hatte. Er wußte, er brauchte die V-Tanks nicht anzurühren. Die Anzeigen an Renies Tank, an beiden Tanks, waren für sämtliche Lebensfunktionen normal.
    Da kam ihm eine finsterere Bedeutung in den Sinn. Erschrocken stand Jeremiah auf.
    Wenn er meinte, sein Sohn Stephen sei gestorben – wenn er vielleicht einen seiner Angstträume gehabt hatte oder wenn seine Depressionen übermächtig geworden waren, bis er zwischen Koma und Tod keinen Unterschied mehr sehen konnte …
    Ich muß ihn suchen gehen, den verrückten Kerl. Gütiger Heiland! Er kann überall hier drinnen sein. Er kann einfach ins oberste Geschoß des Labors hochsteigen und sich hinunterwerfen.
    Instinktiv blickte er auf, aber die Etagen über dem Labor waren still, und auf keiner von ihnen bewegte sich etwas. Das wilde Kabelgeschlängel über den V-Tanks war ebenfalls unverändert, obwohl eine der Kabelhülsen, die unbenutzt herunterbaumelte, einen Moment lang einem Gehängten beklemmend ähnlich sah.
    Auf dem Boden lag auch kein Körper.
    »Guter Gott«, sagte Jeremiah laut und wischte sich die Stirn. Es führte kein Weg daran vorbei: Er mußte nach ihm suchen. Es würde eine Weile dauern, aber nicht ewig – der Stützpunkt war schließlich dicht. Aber dazu mußte er die Tanks unbeaufsichtigt lassen, und das gefiel ihm gar nicht. Vielleicht wegen seines eigenen unguten Gefühls kamen ihm die Schläfer darin schrecklich verletzlich vor. Wenn ihnen etwas geschah, während er hinter diesem Wahnsinnigen herjagte …! Der Gedanke war ihm unerträglich.
    Jeremiah ging zur Station zurück und schaute hastig die Einstellungen durch, bis er die gefunden hatte, an die er sich erinnerte – eine Sache, die Martine vor zwei Wochen, einer halben Ewigkeit für sein Empfinden, demonstriert hatte. Als er die Ausgabe veränderte, scholl das Bummern der zwei Herzschläge ( !Xabbus langsamer, aber beide kräftig und nicht übermäßig forciert) durch die Lautsprecheranlage und füllte das hohe Gewölbe mit einem konstanten Bi-bumm, Bi-bumm – Bi-bumm, Bi-bumm, wobei es allerdings eine kleine Taktverschiebung gab, so daß die beiden bei jedem siebten oder achten Schlag zusammenfielen.
    Wenn Long Joseph es hörte, würde er wahrscheinlich völlig durchdrehen und sich ganz sicher sein, daß etwas schiefgelaufen war, aber im Augenblick scherte das Jeremiah keinen Deut.
     
    »Joseph! Joseph, wo bist du?«
    Während er die weitläufige Anlage durchsuchte und zum hallenden Ping-Pong der zwei Herzschläge durch die verlassenen Hallen trottete, mußte Jeremiah immer wieder daran denken, wie er in jener gräßlichen Nacht in das Haus der Frau Doktor zurückgekommen war. Die Lichter waren aus gewesen, was normal war, doch selbst die Sicherheitsbeleuchtung am Zaun hatte nicht gebrannt; als er in die breite Sackgasse eingebogen war und die schattenhafte Silhouette des Hauses vor ihm aufgetaucht war, hatte er sofort einen furchtbaren Schreck bekommen. Und als er die stillen Korridore durcheilt und den Namen der Professorin gerufen hatte, ohne Antwort zu erhalten, war seine Angst mit jeder Sekunde gewachsen. So schrecklich es war, aber Susan Van Bleeck brutal zusammengeschlagen im Labor auf dem Fußboden zu finden, war fast eine Erleichterung gewesen – wenigstens hatte das Grauen in dem Moment eine Gestalt. Schlimmer konnte es nicht werden.
    Aber natürlich war es schlimmer geworden, als er ins Krankenhaus zurückkehrte, nachdem er Renie wieder heimgefahren hatte, und die Pfleger an ihrem Bett gerade die Lebenserhaltungsgeräte ausschalteten.
    Und jetzt zwang ihn die Idiotie dieses Mannes, in Pantoffeln durch diese dunklen Räume zu irren, als müßte er die grauenhafte Nacht von damals noch einmal durchleben, ohne zu wissen, wann er über eine Leiche stolpern konnte … Er hatte noch mehr Wut als Angst. Wenn er diesen Joseph Sulaweyo fand, und der

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