Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
konnte, daß sie etwas Falsches sagte. Christabel wußte nicht warum, aber sie hatte schon wieder Angst. »Wieso bist du hier, mein Schatz? Wo ist die Mami?«
»Sie hat in der Schule angerufen und gesagt, daß Frau Gullison krank ist und daß ich zu dir gehen soll. Sie ist heute in die Stadt einkaufen gefahren.«
Der General lächelte wieder, daß man fast alle seine Zähne sah. »Ah, aber ein guter Spion hat immer eine Geschichte auf Lager.« Er wandte sich an ihren Papi. »Wir werden in drei Stunden in Washington erwartet. Aber Anfang nächster Woche komme ich wieder. Und ich würde es sehr begrüßen, einen deutlichen Fortschritt zu sehen. Das empfehle ich dir dringend, Sorensen. Noch lieber wäre es mir, ich würde bei meiner Rückkehr die betreffende Person vernehmungsbereit in einer Zelle antreffen, strengstens bewacht und selbstmordsicher.«
»Ja, Sir.«
Der General und seine drei Männer marschierten zur Tür. Er drehte sich noch einmal um, nachdem die ersten beiden schon hinausgegangen waren. »Und du sei ein braves Mädchen«, sagte er zu Christabel, die den Gedanken an eine Zelle zu verdrängen suchte, die strengstens bewacht sein sollte, damit der Selbstmord sicher war. »Folg immer schön deinem Papa, hörst du?«
Sie nickte.
»Denn Papas wissen immer, was für einen das Beste ist.« Er salutierte leicht vor ihr und ging hinaus. Der muffelige Mann ging als letzter und sah dabei furchtbar agentenmäßig aus, so als ob, wenn er nicht scharf aufpaßte, Christabels Papi hinter dem General herrennen und ihn hauen könnte.
Nachdem sie alle fort waren, setzte sich ihr Papi auf den Schreibtisch und starrte eine ganze Weile die Tür an. »Na, vielleicht sollten wir zusehen, daß du nach Hause kommst«, sagte er schließlich. »Mami müßte inzwischen vom Einkaufen zurück sein, meinst du nicht auch?«
»Wen sollst du finden, Papi?«
»Finden? Hast du doch gelauscht?« Er trat zu ihr und zauste ihr das Haar.
»Nicht, Papi! Wen sollst du finden …?«
»Niemanden, Kindchen. Nur einen alten Freund des Generals.« Er nahm ihre Hand. »Und jetzt komm. Nach so einem Tag kann ich mir, glaube ich, ein paar Minuten freinehmen, um meine Tochter nach Hause zu fahren.«
> Es war seltsam, aber was Jeremiah Dako weckte, war die Stille.
Seltsam daran war, daß man hätte meinen sollen, als einen von zwei Leuten in einem riesigen stillgelegten Militärstützpunkt würde ihn alles aufschrecken lassen, bloß nicht die Stille. Mit Long Joseph als einziger Gesellschaft im »Wespennest« zu leben, war die meiste Zeit über so, als ob er der letzte Bewohner eines der Geistertownships im südlichen Transvaal wäre, wo die Tokozaseuche die Shantytowns so rasch leergefegt hatte, daß viele der Fliehenden sogar ihre wenigen kümmerlichen Habseligkeiten zurückgelassen hatten – Kochtöpfe, Pappkoffer, fadenscheinige, aber noch tragbare Kleidungsstücke. Als ob ihre Besitzer durch irgendeinen grauenhaften Zauber auf einen Schlag weggehext worden wären.
Doch selbst in den verlassenen Arbeitersiedlungen in Transvaal gab es Wind und Regen und herumstreunende wilde Tiere. Noch immer konnte man Vogelsang durch die staubigen Straßen hallen oder Ratten und Mäuse in den Abfallhaufen wühlen hören.
Das Wespennest jedoch war ein Monument der Stille. Durch unzählige Tonnen Stein von den Elementen abgeschirmt, die technischen Anlagen weitgehend außer Betrieb, die massiven Türen so fest verschlossen, daß nicht einmal Insekten hineinschlüpfen konnten, und die Luftschächte so fein vergittert, daß kein sichtbarer lebender Organismus eindringen konnte – so hätte der Stützpunkt ein Ort aus einem Märchen sein können, das Dornröschenschloß vielleicht, wo die Prinzessin und alle ihre Verwandten überzogen vom Staub der Jahrhunderte schliefen.
Jeremiah Dako war kein sonderlich phantasiebegabter Mann, aber wenn sein Gefährte Joseph Sulaweyo endlich in einen unruhigen Schlaf gesunken war – einen Schlaf, der von seinen ganz persönlichen bösen Feen heimgesucht zu sein schien –, gab es in der ewigen Nacht des Lebens hinter verschlossenen Türen Zeiten, in denen Jeremiah die mächtigen Keramiksärge anstarrte, für die jetzt er verantwortlich war, und sich fragte, in was für eine Geschichte er da hineingestolpert war.
Er fragte sich außerdem, was der Verfasser eigentlich von ihm erwartete.
Ich bin einer von denen, um die in den Geschichten nie viel Wesens gemacht wird, sinnierte er eines Nachts, als die Werte
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