Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
alle drei Boote heftig auf und nieder gingen. »Was spielt es für eine Rolle, hinter wem sie her sind?« rief Paul. »Umbringen tun sie uns doch alle beide! Wie weit ist es noch bis zum Gateway?«
Nandi biß die Zähne zusammen und spannte dabei seine Kiefermuskeln derart an, daß ihm die Sehnen am Hals herausstanden und die Adern auf der Stirn hervortraten, dann brach er den Pfeil unmittelbar über der Haut ab. »Es ist noch zu weit – vorher schießen sie uns ab wie Hasen. Aber wenn ich nicht bei dir bin, hast du bessere Chancen, denke ich.« Er kroch an den Rand des Bootes, den Kopf immer noch eingezogen.
»Was soll das heißen?«
»Ich wußte, daß wir uns trennen würden, aber ich dachte nicht, daß es so bald wäre«, antwortete Nandi. »Der Ort, den du suchst, ist nicht in der nächsten Simulation, nicht einmal in der Nähe, aber mit etwas Glück wirst du deinen Weg dorthin finden. Du mußt nach Ithaka, da bin ich so gut wie sicher.« Er wälzte sich rasch über den Bootsrand, aber hielt sich noch fest, so daß er mit den Beinen im Wasser hing und das kleine Boot sich zur Seite neigte.
»Nandi, was tust du?« Paul versuchte ihn wieder hineinzuziehen, aber der schlanke Mann stieß seine greifenden Finger weg.
»Ich begehe keinen Selbstmord, Paul Jonas. Die Soldaten des Khans werden mehr Schwierigkeiten haben, mich zu fangen, als sie meinen. Bleib im Boot. Die Strömung wird dich hinüberbefördern.« Eine weitere Pfeilsalve strich über sie hinweg. »Der Name deines Feindes lautet Felix Jongleur – unterschätze ihn nicht!«
Er ließ los und warf sich mit ausgestreckten Armen nach hinten in das aufspritzende Wasser. Als er wieder hochkam, war Paul schon zwanzig Meter weiter und konnte nur hilflos zusehen, wie Nandi Paradivasch ans Ufer schwamm und hinkend zwischen den Bäumen verschwand.
Mit energischen Rückwärtsschlägen bremste das erste Boot, als es auf der Höhe war, wo er sich in den Wald geschlagen hatte, und glitt dann ins flache Wasser, damit die Soldaten hinausspringen und die Verfolgung aufnehmen konnten, aber das zweite Boot verlangsamte die Fahrt nicht. Die Bogenschützen an Bord, die gewartet hatten, während die im ersten Boot ihr Glück versuchten, hatten jetzt ihrerseits Gelegenheit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Wie Hagelkörner prasselten die Pfeile auf den am Boden zusammengekauerten Paul ein, so daß um ihn herum das Holz splitterte.
Er sah nur ein kurzes Leuchten über sich, einen azurblauen Glanz wie eine schillernde Lichtwolke, dann standen ihm auf einmal an den Armen die Haare funken sprühend zu Berge, und es trug ihn aus Xanadu hinaus.
Kapitel
Ein Arbeitstag
NETFEED/NACHRICHTEN:
Pilker fordert neue Legislative
(Bild: Pilker vor dem Capitol)
Off-Stimme: Reverend Daniel Pilker, Führer der fundamentalistischen Christenvereinigung Kingdom Now, hat Verfassungsklage gegen die Vereinigten Staaten eingereicht, weil seiner Meinung nach ein weiteres gesetzgebendes Haus gebildet werden sollte.
Pilker: »Wir haben ein Repräsentantenhaus, einen Wirtschaftssenat. Wir haben alle möglichen besonderen Interessengruppen, die sich dort Gehör verschaffen. Aber wo bleibt die Vertretung der gottesfürchtigen Amerikaner? Solange es nicht auch einen Kirchensenat gibt, der Gesetze speziell im Hinblick auf Gott erlassen und auslegen kann, werden große Teile des amerikanischen Volkes weiterhin im eigenen Lande als Entrechtete leben …«
> Die Vorstädte glitten vorbei und wurden von den Hügeln und ihren Siedlungen abgelöst, Pendlerdomizilen Seite an Seite neben nicht fertiggestellten Neubauten, die im weißen Morgen wie tote Museumsstücke in der Landschaft standen. Die weichen Schatten wurden immer kleiner, je höher die Sonne gegen Mittag stieg, ganz als ob das helle Licht am Himmel alle Dunkelheit in Nichts auflösen könnte.
»Und mit einem Anruf wäre das nicht zu erledigen gewesen?«
»Ich muß diesen Ort sehen, Stan. Punkt. Das ist einfach so.«
»Erklär mir das nochmal – Polly Merapanui kam von hoch oben im Norden. Sie war ein Straßenmädchen in Kogarah und wurde unter einem Sidneyer Highway getötet. Warum genau fahren wir dann in die Blue Mountains, also ganz woanders hin?«
»Weil sie mal dort wohnte.« Calliope überholte einen Lastwagen, der zertrümmerte Betonbrocken transportierte und ungefähr so schnell fuhr, wie man es erwarten würde. »Fast ein Jahr lang, nachdem sie aus Darwin weggezogen war. Du weißt das genau – es steht in
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