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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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schüttelte den Kopf. »Schrecklich. Aber ich hatte es fast schon vergessen. Seltsam, daß etwas so Furchtbares einem entfallen kann. Lily war damals am Boden zerstört. Das Mädchen war alles, was sie hatte.«
    »Er ist nie gefaßt worden, nicht wahr?« schaltete sich Frau Bulurame ein. »Dieser erzteuflische Teufel, der sie umgebracht hat.«
    »Habt ihr jemanden verhaftet?« Der Pastor beugte sich vor. »Seid ihr deshalb hier? Um für die Anklage zu ermitteln?«
    »Nein, leider nicht.« Calliope nahm einen Schluck Limonade, die mehr Zucker hätte vertragen können. Sie entkräuselte den Mund und fragte: »Hat einer von euch Polly gekannt?«
    »Eigentlich nicht. Mal auf der Straße oder im Laden gesehen, aber zu der Zeit hatte Lily die Stelle bei uns noch nicht. Auf den Gedanken, die Kirche könnte ein regelmäßiges Reinemachen vertragen, bin ich ja zum Teil auch deswegen gekommen, weil der Mord ein so harter Schicksalsschlag für sie war, verstehst du? Damit sie was zu tun hatte. Finanziell ging es ihr auch nicht gerade rosig. Es gibt Leute, die haben mit den Zahlungen nach dem zweiten Landbesiedlungsgesetz was angefangen, Detective, aber andere wie Lily, die… na ja, denen rann das Geld einfach durch die Finger.« Dem war deutlich zu entnehmen, daß der Herr Pastor und seine Frau zu denen gehörten, die das einzig Richtige getan und ihre Entschädigung in ein hübsches Häuschen und eine Heimstation investiert hatten, mit der sie sämtliche Netzkanäle bekommen konnten.
    Calliope seufzte innerlich. Von diesem leutseligen, selbstzufriedenen Mann würden sie bestimmt kaum etwas Brauchbares zu hören bekommen. Sie zwang sich, die restlichen Fragen zu stellen, die sie noch auf ihrer Liste hatte, während Stan Chan Limonade schlürfte und so tat, als gäbe es für ihn nichts Faszinierenderes auf der Welt als Ankündigungen von Kuchenbasaren. Die Ergebnisse waren so entmutigend, wie sie gedacht hatte: Die Bulurames wußten nichts von möglichen Freunden der Tochter und konnten nicht einmal sagen, ob die Stiefmutter noch Freunde in der Stadt hatte, die etwas über die Familiengeschichte wissen konnten.
    »Lily ist nicht viel ausgegangen«, erklärte der Pastor. »Deshalb war dieser Mann – nun ja, ich glaube nicht, daß es eine tiefe seelische Verbindung war, wenn du verstehst, was ich meine. Sie ist beinahe ein wenig einfältig, unsere Lily, Gott steh ihr bei – ich fürchte, daß sie leicht auszunutzen ist.«
    Calliope bedankte sich, daß er sich die Zeit genommen hatte. Er stand nicht auf. Als seine Frau sie hinausließ und Stan säuerlich guckte, weil er wieder an den schlauchschwenkenden Kindern vorbeimußte, drehte Calliope sich noch einmal um.
    »Du sagtest vorhin, ›dieser erzteuflische Teufel‹, Frau Bulurame. Was hast du damit gemeint?«
    Die Frau des Pastors riß ihre braunen Augen weit auf, als ob Calliope etwas völlig Widersinniges gefragt hätte – etwa ob sie gern nackt mit dem Fallschirm springe. »Oh! Na, es … es ist genau wie in dem Märchen, nicht wahr?«
    »Märchen?«
    »Ich habe es als kleines Mädchen erzählt bekommen, von meiner Großmutter. Über den Woolagaroo. Den erzteuflischen Teufel mit den Krokodilszähnen. Jemand machte ihn, schnitzte ihn aus Holz, aber als Augen hatte er Steine. Genau das, was der armen kleinen Polly passiert ist.«
     
    Anderthalb Stunden später, nachdem sich auch alle anderen Fährten als so unfruchtbar erwiesen hatten wie der Straßenstaub, der sich auf Calliopes Dienstwagen gesammelt hatte, fuhren sie wieder aus Cootalee ab.
    »Woolagaroo«, sagte sie. »Kennst du dich mit Aboriginemythen aus, Stan?«
    »Klar doch. Das war überhaupt ein ganz wichtiger Teil meiner Ausbildung an der Polizeischule, Skouros. Wir haben täglich Stunden damit zugebracht, Geschichten vom Bunyip und ›Wie das Känguruh springen lernte‹ zu lesen. Wenn danach noch Zeit blieb, haben wir manchmal ein paar Schießübungen dazwischengequetscht. War es bei dir nicht genauso?«
    »Ach, sei still. Ich fasse das als Nein auf.« Sie stellte die Musik an, ein modernes Stück von jemandem, dessen Namen sie sich nie merken konnte, heruntergeladen von einer nachmitternächtlichen Sendung. Verhalten und bittersüß tönte die Musik durch das Auto wie ein Konzert neben einem japanischen Zierteich. Stan Chan schloß die Augen und klappte seinen Sitz nach hinten.
    Woolagaroo. Calliope spürte dem Klang des Wortes nach. Erzteuflischer Teufel. Steine als Augen, genau wie in dem alten Märchen, hat

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