Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
einen Zank zwischen Sweet William und Florimel, den Quan Li zu schlichten suchte. Florimel meinte, wenn wir die beiden jungen Männer nicht fänden, sollten wir versuchen, ein Mitglied der Gralsbruderschaft in einer Simulation zu fangen, und dann mit Gewalt oder Drohungen Auskünfte über das Netzwerk aus der gefangenen Person herausholen, sie vielleicht sogar zwingen, uns zu helfen. William fand, damit lachten wir uns bloß Ärger an – höchstwahrscheinlich würde uns das nicht nur mißlingen, da wir so wenig über die Fähigkeiten der Leute innerhalb des Netzwerks wüßten, sondern hätten außerdem dann auch noch die ganze Bruderschaft am Hals. Quan Li und William schienen beide darauf erpicht zu sein, keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Florimel ließ keinen Zweifel daran, daß sie sie für Hasenfüße hielt.
T4b verhielt sich die ganze Zeit über still und unbeteiligt und schien sich mehr dafür zu interessieren, seinen stacheligen Panzer über die Kiesel und Erdklumpen zu manövrieren, die für uns erhebliche Hindernisse darstellten. Ich kann ihm keine Vorwürfe machen, daß er sich abseits hielt.
Kurz vor Mittag, nachdem wir mehrere weitgeschwungene Biegungen des Flusses verfolgt hatten, wurde ich plötzlich auf eine seltsame, aber nicht völlig unbekannte Empfindung aufmerksam. Ich erkannte, daß ich dieselbe ungewöhnliche Schwingung an dem Morgen gespürt hatte, an dem uns die freßwütigen Fische gezwungen hatten, an Land zu schwimmen. Ich war seinerzeit unter dem Ansturm der neuen Datenflut fast wahnsinnig geworden, und deshalb fiel mir nicht gleich ein, was die Empfindung angekündigt hatte.
Als das Prickeln stärker wurde, riefen meine Gefährten auf einmal, daß ein kurzes Stück vor uns eine weiße Gestalt über dem Wasser schwebe. Ich konnte keine Farben wahrnehmen, und überhaupt verwirrte mich das Prickeln jetzt so sehr, daß ich so gut wie nichts von der Erscheinung mitbekam.
Quan Li sagte: ›Es ist ein Mann! Der Mann, der uns zu T4b führte, als der Fisch ihn ausgespuckt hatte!‹ William forderte den Fremden lautstark auf, er solle aufhören, ›sich aufzuführen wie Jesus persönlich, zum Teufel‹, und an Land kommen. Ich gab kaum darauf acht, weil ich vollauf damit zu tun hatte, mir den bizarren Input irgendwie zu erklären. Während die Sims meiner Gefährten sich mir als Wirbel organisierter Information darstellten, war der Fremde eher ein Fehlen von Information – ähnlich einem schwarzen Loch, das den Astronomen seine Gegenwart dadurch verrät, was es nicht von sich gibt.
Nach unserer Begegnung mit diesem Mann, der, wie wir schließlich begriffen, einer der Herren von Anderland war, kam ich zu dem Schluß, daß das, was ich wahrgenommen oder vielmehr nicht wahrgenommen hatte, das Werk eines genialen Gears sein mußte, eines Programms, das die Zeichen der virtuellen Existenz des Benutzers in ganz ähnlicher Weise aufhob, wie ein leistungsstarkes Antischallsystem Geräusche ausschalten kann, indem es entsprechende Gegentöne sendet. Es bleibt zu fragen, wozu irgend jemand, zumal der Herrscher über eine derart komplexe Simulation wie die, in der wir uns befanden, eine solche zweifellos teure Tarnung nötig haben sollte. Vielleicht bleiben diese Herren des virtuellen Raumes ja nicht ständig in ihren eigenen Reichen. Vielleicht möchten sie unbemerkt durch die Gärten und Harems ihrer Nachbarn streifen können.
Während ich ihn immer noch als eine verwirrende Signalstille wahrnahm, erklärte der Fremde energisch: ›Ich bin Kunohara. Ihr seid Gäste in meiner Welt. Es ist ungehörig, nicht bei einem Gastgeber vorstellig zu werden, bevor man durch sein Gebiet spaziert, aber vielleicht kommt ihr aus einem Land, wo gutes Benehmen nicht gepflegt wird.‹
Mir klang seine Stimme merkwürdig, denn sie schien nirgendwo herzukommen, wie altmodische Filmmusik. Für die anderen war das Sonderbarste seine Position, denn er schwebte halb so hoch über dem Fluß, wie er groß war.
Erwartungsgemäß bat Quan Li hastig für etwaige Übertritte um Entschuldigung. Die anderen waren still oder zumindest zurückhaltend – selbst William hielt nach seiner anfänglichen Bemerkung sein loses Mundwerk im Zaum. Kunohara, der nach den Beschreibungen der anderen als ein kleiner Asiate erschien, schwebte zum Ufer, hielt vor uns an und sank dann auf den trockenen Boden ab. Er gab noch mehrere schalkhaft kryptische Bemerkungen von sich und freute sich dabei fast wie ein Kind über sein Wissensmonopol.
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