Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Domänen offenbar mehr Aufmerksamkeit benötigten, als er ihnen in letzter Zeit geschenkt hatte. Xanadu war so gut wie ausgestorben, gerade die Gärten um das Lustschloß sahen besonders ungepflegt aus. Narnia lag weiterhin unter einer Schneedecke wie schon seit Monaten, und weit und breit war kein allegorischer Löwe zu sehen, der den Winter beendet hätte. In der Hobbitwelt, die er aus Gefälligkeit für einen Ururgroßneffen hatte bauen lassen, war der totale Krieg ausgebrochen, was ihn nicht weiter störte, aber die Technik schien das Maß überschritten zu haben, das nach seiner trüben Erinnerung angemessen gewesen wäre. Vor allem Maschinengewehre und Düsenbomber erschienen ihm ein bißchen de trop.
In anderen Simulationen waren die Probleme nicht so kraß, aber sie beunruhigten ihn dennoch. Die Götter in Asgard tranken mehr, als sie kämpften, und auch wenn das aufbrausende nordische Temperament immer wieder einmal plötzlich in Melancholie umschlug, befremdete es ihn, daß sogar die Himmelsbrücke Bifröst staubig und verwahrlost aussah. Im kaiserlichen Rom war der letzte julisch-claudische Cäsar von einem Präfekten der Prätorianergarde namens Tigellinus weggeputscht worden, eine ganz interessante Wendung, nur daß der neue Imperator praktisch kein Gesicht hatte. Die gräßliche Fassade des römischen Herrschers – nur glatte Haut, wo Augen und Nase hätten sein sollen – war auf allen Münzen und Skulpturen abgebildet, was schon verstörend genug war, aber noch bizarrer war, daß niemand in Rom daran etwas zu finden schien.
Jongleur ließ seine anderen Reiche mit erhöhter Geschwindigkeit vorbeiziehen und fand in nahezu jedem Zustände vor, die ihn besorgt machten: Dodge City, Toyland, Arden, Gomorra und noch viele mehr schienen merkwürdig aus dem Lot zu sein, als ob jemand die charakteristische Schwerkraft jeder virtuellen Welt geringfügig verändert hätte.
Eher gut, dachte der alte Mann grimmig, daß ein Albtraum ihn aus dem Dämmerzustand gerissen und er infolge dessen diese Kontrolle vorgenommen hatte. Sie waren nicht einfach Spielsachen, diese Welten – sie waren das Erstgeburtsrecht seiner Göttlichkeit, die Paradiesgefilde, in denen er seine Unsterblichkeit zu verleben gedachte. Es durfte nicht sein, daß sie verwahrlosten.
Da geschah es in einer der letzten von seinen selbstgeschaffenen Welten, die auf einer Serie englischer Bildergeschichten aus seinen Jahren als junger Erwachsener basierte und in die er sich sonst nur selten verirrte, daß er das Gesicht erblickte, das zu sehen er schon so lange hoffte, so lange fürchtete.
Das Gesicht erschien ihm nur einen Moment lang inmitten einer Menge festlich gekleideter Leute, doch das Bild schoß ihm wie ein Pfeil ins Auge. Er fühlte sein greises Herz rasen wie vorhin, als er geträumt hatte; ein wenig gedämpfter nahm er wahr, wie sein wirklicher Körper sich in seinen haltenden Bandagen langsam aufbäumte und die dicke Flüssigkeit aufrührte, in der er schwamm. Vor lauter Starren vergaß er, daß er durch das Bild direkt in die Szene springen, daß er fassen und fangen konnte, aber in diesem kurzen Augenblick des Zögerns verschwand das Gesicht.
Er warf sich in die Simulation, griff sich den ersten Sim, den sein System ihm anbot, aber als hätte sie sein Kommen gespürt, war die Person, die er schon so lange suchte, aus dem großen Saal auf die Straße geeilt und dort in der Menschenmenge untergetaucht. Er stürzte hinterher, aber erkannte sofort, daß zu viele Leute im Weg waren und daß es zu viele Fluchtmöglichkeiten gab. Eine Verfolgung war aussichtslos.
Bertie Wooster, Tuppy Glossop und die anderen Mitglieder des Drones Club bekamen einen ziemlichen Schreck, als mitten in ihre alljährliche Abendgesellschaft mit Tanz und Wohltätigkeitstombola ein zweieinhalb Meter großer Eisbär hereinplatzte. Das Phänomen löste lebhafte Diskussionen aus, und die Getränkebestellungen verdoppelten sich schlagartig. Mehrere Angehörige des schönen Geschlechts (und auch ein oder zwei aus dem männlichen Kontingent, um die Wahrheit zu sagen) gingen so weit, in Ohnmacht zu fallen. Doch selbst diejenigen, die das Schauspiel nur mit stumpfem Blick zur Kenntnis genommen und ihren Scotch pur ohne Wackeln weiter mundwärts geführt hatten, während der weiße Störenfried brüllend über die Tanzfläche galoppierte und dabei die halbe Kapelle über den Haufen rannte (wobei ein Klarinettist ernstlich verwundet wurde), waren einigermaßen
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