Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Seeräuberkarikaturen sich nach Kräften beeilte, es abzulassen. Orlando wehrte den Angriff des ersten Piraten aus der nachrückenden Schar auf der Treppe ab und schrie dann Fredericks zu: »Komm mit!«
Sein Gefährte, der entweder keine Pfeile mehr hatte oder keinen Platz, um sie richtig abzuschießen, benutzte derweil seinen Bogen als notdürftigen Schildersatz und schwang dazu ein Entermesser, das er einem der Angreifer abgenommen hatte. »Wohin?«
»Zu den Booten!« Orlando stolperte und wäre fast hingefallen; er durfte nicht vergessen, daß er hier zwar viel stärker war als in seiner eigenen morschknochigen Gestalt, aber auf keinen Fall mehr Thargors übermenschliche Muskeln besaß. Er packte eines der Besantaue und schwang sich über die Köpfe der herandrängenden Angreifer aufs Hauptdeck. In viel zu großer Eile, um zu gucken, ob Fredericks ihm wirklich gefolgt war, stürzte er zum Landungsboot und schaffte es, den ersten Piraten über Bord zu schubsen, bevor der Mann ihn sah. Von den drei anderen hielten zwei das schaukelnde Boot ruhig, und so nahm sich Orlando den dritten vor. Gleich darauf erschien Fredericks an seiner Seite, und gemeinsam hatten sie den Gegner rasch erledigt. Die anderen beiden, nur mit einfachen Messern bewaffnet, überlegten kurz, dann sprangen sie aus dem Boot und verschwanden in Richtung des Vordecks. Wie Orlando und Fredericks schon festgestellt hatten, waren die Comicseeräuber nicht so furchterregend, wie sie aussahen, aber durch ihre zahlenmäßige Übermacht stellten sie dennoch eine Gefahr dar.
»Alle Teufel von Tortuga!« brüllte Fledderjan vom Vordeck, und sein Mantel flatterte dazu in der auffrischenden Brise. »Sie entkommen! Gibt es auf dieser schlappen Soßenschüssel keinen einzigen Mann, der kämpfen kann? Muß ich denn alles alleine machen?«
Orlando und Fredericks sprangen je an ein Ende der Jolle, zählten bis drei und schlugen dann mit Schwert und Entermesser auf die Taue, an denen das Boot hing. Wie fast alles in der Simulation verhielten sich auch die Taue nicht wie ihre Gegenstücke im realen Leben, sondern gingen mit einem satten Twäng auseinander, kaum daß die Klingen sie berührten. Das Boot stürzte mehrere Meter tief in den Fluß, so daß ein weißer Gischtschwall aufspritzte.
Orlando konnte sich zunächst nicht entscheiden, ob sie den anderen Piratenbooten zum Fuß des Eisschranks ans Ufer folgen oder ob sie lieber weiter auf den Fluß hinausrudern sollten. Fredericks deutete auf eine Gruppe von Piraten, die auf ihrer Seite eine schwere Kanone an das Schießloch rollten.
»Hinter den andern Booten her – er wird nicht auf seine eigenen Männer schießen«, erklärte Orlando. Sie legten sich in die Riemen und fegten auf den Strand zu, um den Landungstrupp möglichst noch einzuholen. Wenige Momente später, das Ufer war bestimmt noch hundert Meter entfernt, strich ein dunkles Etwas über ihre Köpfe, traf das Boot unmittelbar vor ihnen und sprengte Piraten und Piratenstücke in alle Himmelsrichtungen.
»Wieder falsch«, bemerkte Fredericks hilfreich.
Mit eingezogenen Köpfen wriggten sie weiter. Die Kanone feuerte, feuerte abermals, und die Kugeln ließen links und rechts von ihnen hohe Fontänen aufstieben. Da das Wasser jetzt seicht wurde, warfen sie sich über Bord und schwammen zum Strand.
Als sie aus dem Fluß stiegen und sich erst so richtig bewußt wurden, daß sie zwischen Fledderjans Kanone und seinem Sturmtrupp in der Falle saßen, hörten sie plötzlich einen Fanfarenstoß und einen vielstimmigen Schrei. Die Verteidiger des Eisschranks strömten aus der aufgebrochenen Tür und warfen sich den Bukanieren am Strand entgegen. In Orlandos Erleichterung mischte sich ein gewisses Befremden, denn eine absonderlichere Streitkraft hätte man sich schwerlich vorstellen können.
Die Vorhut, gewissermaßen Kanonenfutter im wörtlichen Sinne, war eine Abteilung streitbarer Gemüsesorten, das direkte Gegenteil der zügellos feiernden Tomaten und Zucchini, die sie vorher gesehen hatten. Kürbisse in vielen Farben und Formen schwenkten Spargelspeere. Hinter finster dreinblickenden Yamswurzeln folgte eine Kette kolossaler Auberginen, grollende schwarzviolette Gestalten, die so erschreckend wirkten wie wilde Elefanten. Der Anführer dieses martialischen Salats war eine fesche Mohrrübe, die ein Schwert in die Luft stieß und mit dünner, aber dramatischer Stimme schrie: »Für Gott und Sankt Knackian!«
Als die erste Gemüsereihe auf die
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