Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
direkt an den Fuß des Eisschranks, wo die letzte der streitenden Auberginen als Gemüsematsch über den weißen Lack verspritzt wurde, dann wendete sich das Blatt, und die Verteidiger drängten die Bukaniere über den Strand zurück, bis die Belagerer knietief im Fluß um ihr Leben kämpften. Stundenlang konnte keine Seite einen entscheidenden Vorteil erringen. Auf Angriff folgte Gegenangriff, immer hin und her, bis die meisten der Krieger kampfunfähig oder so tot waren, wie man es von Cartoons erwarten konnte. Die hängende Eisschranktür war derart von Kanonenkugeln eingedellt worden, daß sie einer Mondlandschaft glich, aber Fledderjan war längst die Munition ausgegangen, und so waren die Geschütze verstummt. Jetzt hielten die letzten paar Verteidiger in den geschnetzelten Überresten ihrer heldenhaften Kameraden gegen die letzten paar Seeräuber die Stellung.
»Wie sollen wir hier rauskommen, wenn das Gemetzel vorbei ist, Orlando?« fragte Fredericks. »Ohne diesen Indianer … Müssen wir den Fluß bis zum Ende hinunterfahren?«
Orlando wiegte den Kopf. »Woher soll ich das wissen? Ich nehm’s an. Es sei denn, man kommt noch irgendwie anders raus. Hat die Schildkröte nicht was von Leuten im Eisschrank erzählt, die Fragen beantworten können? ›Schläfer‹ oder sowas in der Art?«
Fredericks starrte ihn durchdringend an. »Nein, Orlando. Chance gleich null. Wir werden nicht in dieses Ding da reinsteigen, um auf irgendwelche noch idiotischeren Comicmonster Jagd zu machen. Vergiß es.«
»Aber so funktionieren diese Sachen, Frederico. Man muß rauskriegen, wie die Regeln sind. Wenn man Informationen haben will, muß man was dafür tun. Komm schon. Stell dir vor, es gibt einen Weg, hier rauszukommen, und er ist direkt neben uns – würdest du dann nicht lieber ein bißchen Mühe auf dich nehmen, um das rauszufinden, statt den ganzen weiten Weg bis zum Ende des Flusses zu fahren?«
»Ein bißchen Mühe. Das ist doch Fen-fen. Du setzt immer deinen Kopf durch, Orlando, und ich muß es immer ausbaden. Du und deine voll brillanten Ideen. Wenn du in diesem Ding rumkraxeln willst, nur zu, aber mich bringen da keine zehn Pferde rein.«
»Ich befürchte, da irrst du dich«, meinte da eine dritte Stimme.
Fledderjan Gierlapp trat um die Ecke des Schrankes vor sie hin. Der vom Pfeil des Indianers getroffene Arm war mit einem breiten weißen Stück Stoff verbunden, aber von Blut war nichts zu sehen. Eine Steinschloßpistole, anstelle der Greifvorrichtung an sein Handgelenk geschraubt, war auf die beiden gerichtet. »Ich habe nämlich, zum Teil euretwegen, nur noch sehr wenige Männer übrig. Deshalb werde ich leider Hilfe benötigen, wenn ich mir mein Gold aus dem Eisschrank hole.« Er beugte sich mit einem theatralischen Feixen vor. Aus der Nähe konnte man besser erkennen, daß er kein richtiger Mensch war – die scharfen Winkel seines Gesichts waren übertrieben, seine Züge unangenehm glatt wie bei einer Puppe.
»Deine Piraten haben also gewonnen?« fragte Orlando verdrießlich. Er ärgerte sich, daß er sich hatte überrumpeln lassen. An den wirklichen Thargor wäre der Kapitän niemals auf fünfzig Meter herangekommen, ohne bemerkt zu werden.
»Man könnte es, denke ich, als einen Pyrrhussieg bezeichnen.« Fledderjan deutete mit seinem Haken auf das stille Schlachtfeld, das mit den Resten von Angreifern wie Verteidigern übersät war. Nichts regte sich. »Immerhin bedeutet das, daß mir viel weniger Anteile von meiner rechtmäßigen Beute abgezwackt werden.« Er gestikulierte mir der Pistole. »Los, steht auf. Und du. Mann«, sagte er zu Orlando, »wenn du irgendwas Wärmeres hast als dieses absurde Zirkuskostüm, rate ich dir, es anzuziehen. Wie man hört, soll es da drinnen ziemlich kalt sein.«
Als sie durch das Gehäcksel des Schlachtfeldes wateten, ergatterte Orlando sich eine Weste – ein »Wämschen«, wie Fledderjan dazu sagte – und eine wadenlange Hose, deren piratischer Besitzer nirgends zu sehen war; offenbar war er von Puffweizengeschossen so hart getroffen worden, daß es ihn glatt aus der Montur gepustet hatte. Mit Kapitän Gierlapp im Rücken – nie mehr als ein oder zwei Meter entfernt, aber auch darauf bedacht, nicht so nahe zu kommen, daß sie ihn überwältigen und entwaffnen konnten – kletterten sie vom Boden der Küche auf die unterste Ablage des Eisschranks empor. Dort erwiesen sich die Worte des Kapitäns als nur zu wahr: Die Luft im Innern war in der Tat sehr kalt, und
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