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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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die Räume zwischen den Ästen wurden wieder dunkel.
    »Hört sich an, als ob gegen uns zum Einsatz geblasen wird«, sagte Renie grimmig. »Jedenfalls denke ich, daß es das bedeuten sollte. Es ist schwer zu sagen – diese ganze Simulation scheint zu zerfallen.« Oder die beiden verschiedenen Welten, der Wald und das Werk, wuchsen zu einem abscheulichen Ganzen zusammen. Auch Smaragd stand kurz davor, geschluckt zu werden – sie sah es förmlich vor sich, wie die ruinierten Häuser, Felder und Plätze, die einst die Domäne der Vogelscheuche gewesen waren, der letzte belagerte Außenposten eines reizenden Kindermärchens, sich jetzt zu einem weiteren Fortsatz der großen Maschine entwickeln würden, die gewissermaßen ständig im Sterben lag und dennoch voll bösartigem Leben steckte. War es das, was eines Tages dem ganzen Otherlandnetzwerk blühte? Obwohl das große Simulationsuniversum die Zitadelle ihrer Feinde war, deprimierte und empörte sie die Vorstellung.
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte !Xabbu , während er über die Reling lugte.
    »Daß sie zerfällt? Machst du Witze?« Renie konnte immer noch ihren bitteren Magensaft schmecken. Sie wollte jetzt unbedingt eine Zigarette haben. Was gab es für einen Grund, sich zu enthalten? Lieber genießen, soviel sie konnte, solange es noch ging. Sie wollte gerade Azador suchen gehen, als sie seinen Mantel zusammengeknüllt auf dem Deck liegen sah. Na gut, das war nicht die feine Art, aber zum Teufel mit dem selbstgerechten Kerl.
    Während sie sich bückte, um in den Taschen zu stöbern, fragte sie !Xabbu : »Hast du diese Übertragung nicht gesehen, oder was es sonst war? Man hat den Eindruck, daß der Generator für diese ganze Simwelt am Ende ist.«
    »Das meinte ich nicht, Renie.« !Xabbu richtete einen Moment lang seine engstehenden braunen Augen auf ihre wühlenden Hände. »Ich bin mir nicht sicher, daß es die Übertragung war, wie du es nennst, was ich gerade eben kommen fühlte …«
    Renie fand das Zigarettenpäckchen, und gleich darauf schlossen sich ihre Finger um die harte Form von Azadors Feuerzeug. Es war eindrucksvoll schwer, lag aber trotzdem bequem in der Hand, und die silbernen Seiten schmückten zierliche Designelemente, so daß es wie ein Familienerbstück aus dem letzten oder vorletzten Jahrhundert wirkte. Als sie es drückte, erschien ein winziges weißglühendes Bällchen brennenden Plasmas, das in einem unsichtbaren Magnetfeld über der Spitze des Feuerzeugs schwebte. Trotz seines altmodischen Aussehens sollte es also ein Minisolar darstellen, ein teures modernistisches Accessoire, wie es im RL am häufigsten von Jungbörsianern oder erfolgreichen Chargedealern benutzt wurde.
    Irgendwie fasziniert von einem solchen virtuellen Geprotze bemerkte Renie das Monogramm auf der einen ansonsten unverzierten Seite, ein verschnörkeltes Y. Sie überlegte, ob das eine der Initialen ihres Begleiters sein konnte, und wenn, ob Azador der Vorname oder der Nachname war. Dann fragte sie sich, ob das Feuerzeug ihm überhaupt gehörte. Vielleicht hatte er es irgendwo in Kansas »gefunden«.
    »Was war das für ein gräßliches Geräusch?« rief Emily vom Kajüteneingang. »Dieses … Grollen?« Mit schreckensweiten, aber im Sonnenschein zwinkernden Augen ging sie ein paar Schritte auf das Heck zu. Ihre vom Schlaf zerrauften Haare, ihre nackten Füße und ihr einfaches Hemdkleid gaben ihr mehr denn je das Aussehen eines zu lang geratenen Kindes. »Ich bin davon aufgewacht…«
    Als Renie die noch unangezündete Zigarette aus dem Mund nahm, um ihr zu antworten, zerlegte sich der Himmel urplötzlich in einzelne Farben, Blau, Weiß und Schwarz, und die Welt kam mit einem Rütteln zum Stillstand.
    Renie stellte fest, daß sie vollkommen erstarrt war, weder sprechen noch sich bewegen konnte. Alles, was sie sah – der Himmel, das Schiff, der Fluß, Emily –, war flach, tot und regungslos geworden wie Bilder auf billigen Dias, aber die Dias hatten alle Dutzende von Geisterbildern hinter sich, eines über dem anderen und leicht verschoben, wie eine Folge einzelner Trickfilmphasenbilder, die erst sorgfältig aufgereiht und dann zufällig fallengelassen worden waren.
    Eine Sekunde später kehrte sich der Vorgang um, die Bilder schoben sich zusammen wie ein verrutschtes Kartenspiel, und das Universum setzte sich mit einem Ruck wieder in Bewegung.
    Während Renie noch wie vom Donner gerührt dastand, unsicher, ob auch sie sich wieder bewegen konnte, und zu verdattert,

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