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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
nochmal«, sagte Osiris mit seltener, unabsichtlicher Komik. »Das liegt ja wohl in der Natur von Turbulenzen, was? Daß man sie nicht vollständig vorausberechnen kann. Gerade du müßtest das doch wissen, Wells – und immerhin bist du für den reibungslosen Ablauf des Gralssystems zuständig, du solltest daher sehr vorsichtig sein, wenn du mit dem Finger auf andere zeigst.« Er ließ seinen Blick über die Runde schweifen. »Tatsache ist, daß wir ein Netzwerk haben, das um etliche Größenordnungen komplizierter ist als alles, was je geschaffen wurde, und es läuft, Tausende von Knoten, Billionen und Aberbillionen Befehle pro Sekunde, und bis auf einen gelegentlichen Windstoß funktioniert es.« Er winkte verärgert mit seiner bandagierten Hand und ließ dabei das Geißelszepter klappern, das er gewöhnlich fest an der Brust hielt.
    »Könnte der Kreis daran schuld sein?« Ricardo Klement, der Sonnengott mit dem Kopf eines Mistkäfers, stellte sich mit zuckenden Mandibeln auf die Füße. »Großer Osiris, könnten es diese herumschleichenden Schufte sein, die das mit unserem Netzwerk machen?«
    »Der Kreis?« wiederholte Osiris erstaunt. »Was soll der denn damit zu tun haben?«
    »Die wirkliche Frage ist«, sagte Wells leise, aber so, daß alle am Tisch ihn verstehen konnten, »ob diese Probleme mit dem Betriebssystem zusammenhängen – das, wie ich betonen möchte, nach wie vor die reine Privatangelegenheit unseres Vorsitzenden ist und mit dem niemand sonst von uns, nicht einmal meine Firma, direkt arbeiten darf.«
    »Aber diese Leute vom Kreis«, bohrte der Käfer weiter, »sie sind unsere geschworenen Feinde! Sie haben sich in das Netzwerk eingeschlichen – wieso sollten sie es nicht sein? Sie sind technikfeindliche Sozialisten und Ideologen, die gegen alles sind, was wir tun!« Er kreischte beinahe. Yacoubian wußte, daß Klement mehr als alle anderen Grund hatte, sich über die Verzögerungen zu grämen. Sein Nachrichtendienst meldete dem General, daß dieser Freibeuter auf dem Organmarkt in einem Krankenhaus in Paraguay lag, weil sein ganzer Leib von einer besonders bösartigen Krebsmutation zerfressen war, die auch Transplantate und Chemotherapie nicht länger im Schach halten konnten.
    »Wir sind alle Menschen mit großer Macht«, sagte Osiris, wobei sein Ton keinen Zweifel daran ließ, daß Klement, wie ohnehin jeder wußte, der mit der geringsten Macht unter ihnen war. »Wir müssen nicht so tun, als kümmerten wir uns um Ideologien. Ja, selbst wenn diese Leute und ihr sogenannter Kreis Brief und Siegel darauf hätten, daß sie Engel des Herrn sind, würde ich sie dennoch aus dem Weg räumen. Kein Hindernis wird mich vom Gral abhalten.
    Die Wahrheit aber ist, daß sie nichts sind. Sie sind kleine Anarchisten und Frömmler, die Sorte Gesindel, das in öffentlichen Parks von Kisten herab weinerliche Volksreden schwingt oder vor Bahnstationen schmuddelige Flugblätter verteilt. Ja, ein paar von ihnen haben sich in das Netzwerk eingeschlichen. Na und? Erst vor wenigen Tagen habe ich einen gefangen, der sich heimlich in einer meiner Domänen herumtrieb. Er wird gerade zum Reden gebracht, das kann ich euch versichern. Aber er hat nichts gesagt, was mir die geringste Sorge bereiten würde – er und der andere Abschaum, sie wissen nicht einmal genau, was das Gralsprojekt überhaupt ist. Und jetzt, mein lieber Chepri, sei so gut und hör auf, meine Zeit zu stehlen.«
    Klement setzte sich schwerfällig hin. Soweit man von einem lackglänzenden Insektengesicht behaupten konnte, daß es den Ausdruck eines gescholtenen Kindes hatte, war das bei seinem der Fall. Alle wußten, daß der Südamerikaner einer von Jongleurs glühendsten Anhängern war – was dachte sich der Alte Mann bloß dabei?
    »Du hast mir noch keine Antwort gegeben, Vorsitzender«, sagte der gelbgesichtige Ptah. »Zu einem Zeitpunkt, wo viele in der Bruderschaft langsam unruhig werden, wenn sie an ihre Investitionen denken, an die Verzögerungen, könntest du da deine Regeln nicht ein wenig lockern? Ich weiß, daß mir jedenfalls sehr viel wohler wäre, wenn ich tatsächlich mit dem Betriebssystem arbeiten könnte, das unser ganzes Netzwerk aufrechterhält.«
    »Da bin ich sicher. Ja, ich habe keinen Zweifel, daß du es liebend gern in deiner Hand hättest«, sagte Osiris steif. Er wandte sich an die anderen, die um den langen Tisch herum gruppierten Vögel und sonstigen Tiere. »Dieser Mann hat bereits einmal versucht, die Kontrolle über die

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