Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Bruderschaft an sich zu reißen. Vor wenigen Wochen erst wart ihr alle Zeugen, wie der Amerikaner eine falsche Anklage gegen mich vorbrachte – wobei sich herausstellte, daß an der Sache, die er mir in die Schuhe schieben wollte, ein Fehler in seinem eigenen Unternehmen schuld war, eine gravierende Verletzung der Sicherheitsvorkehrungen!« Er stieß sich vom Tisch zurück, schüttelte sein mächtiges, maskiertes Haupt und gab sich ganz den Anschein eines edlen Herrschers, der von seinen undankbaren Höflingen hintergangen wird. »Und jetzt fängt er schon wieder damit an – meine Schuld! Alles ist meine Schuld!« Er drehte sich Wells zu. »Du und dein ungewöhnlich schweigsamer Freund«, er schoß einen Blick aus toten Augen auf Yacoubian ab, »ihr habt immer wieder meine Hingabe an das Projekt in Zweifel gezogen, obwohl ich es ersonnen und initiiert habe! Und jetzt soll ich die Kontrolle über das Betriebssystem aufgeben und dann darauf vertrauen, daß du, Robert Wells, weiter meine Position als Vorsitzender respektierst? Ha!« Er klatschte mit der Hand auf den Tisch, und mehrere der Tiermasken zuckten. »Du würdest mir sofort an die Kehle springen, du heimtückischer Schuft!«
Während Wells sich noch empörte – ziemlich überzeugend, fand Yacoubian –, erhob sich Jiun Bhao in seiner Gestalt als ibisköpfiger Thot. »Das ist keine Art.« Seine ruhigen Töne verbargen kaum seinen Abscheu. »So dürfen wir nicht miteinander sprechen. Das gehört sich nicht.«
Immer noch aufgebracht blickte der Alte Mann ihn an, und einen Moment lang hatte es den Anschein, als würde er gegen den chinesischen Magnaten ebenfalls eine rüde Bemerkung fallen lassen, ein derart atemberaubendes Spiel mit dem politischen Selbstmord, daß selbst Yacoubian nicht anders konnte, als ihn mit offenem Mund anzustarren. Statt dessen sagte Osiris schließlich: »Unser Gott der Weisheit hat bewiesen, daß ich in der Wahl der Rolle für ihn richtig gehandelt habe. Du hast recht, mein Herr. Ich habe mich ungehörig benommen.« Er wandte sich an Wells, und obwohl er dessen gelbes Lächeln ätzend finden mußte, war er jetzt die Förmlichkeit selbst. »Wie unser Freund zu Recht bemerkt, war ich unhöflich, und dafür entschuldige ich mich. Ich möchte jedoch hinzufügen, daß auch du dich einer Taktlosigkeit schuldig machst, Ptah, wenn du unterstellst, daß ich etwas vor meinen Kollegen verheimliche.«
Wells verneigte sich mit fast unmerklicher Ironie. Yacoubian verstand plötzlich nicht mehr, welche Wendung das Ganze nahm. Der alte Mistkerl würde doch nicht etwa nochmal davonkommen?
»Einen kleinen Moment«, sagte Yacoubian. »Es sind ja wohl noch Fragen offen. Bob sagt, die Probleme im System hätten nicht alle mit der Größe zu tun. Er sagt, es liegt am Betriebssystem. Du sagst: ›Das geht dich nichts an.‹ Wie bekommen wir dann Aufklärung darüber, was läuft, verdammt nochmal?«
»Ah, Horus, der König der Lüfte«, bemerkte der Alte Mann beinahe liebevoll. »Du warst so lange still, daß ich schon fürchtete, wir hätten dich offline verloren.«
»Bestimmt. Sag mir nur eins: Wie können wir sicherstellen, daß uns dieses ganze Ding nicht irgendwann zusammenkracht?«
»Das wird langsam ermüdend«, begann Osiris, als der widderköpfige Amon, der Besitzer von sechs Schweizer Banken und einer Insel-»Republik« vor der Küste Australiens, die Hand hob.
»Ich würde auch gern mehr darüber erfahren«, meldete er sich zu Wort. »Mein System teilt mir mit, daß es in allen meinen Domänen immer wieder zu Ausfällen kommt. Wir haben alle mehr als Geld in dieses Projekt investiert, und bald werden wir alles darin investiert haben, eingeschlossen unser Leben. Ich glaube, uns stehen bessere Auskünfte zu.«
»Siehst du?« Yacoubian wollte den Alten Mann noch etwas ins Schwitzen bringen – man konnte nicht wissen, wann er sich wieder eine derartige Blöße geben würde. Er wandte sich Wells zu, um ihn zur Schützenhilfe zu ermuntern. »Ich finde, jetzt sollte endlich reiner Tisch gemacht werden. Komm und rück mit den Tatsachen raus.«
»Halt«, sagte Osiris mit gepreßter Stimme.
Und Wells bemerkte sehr zu Yacoubians Erstaunen: »Ja, ich denke, du solltest es dabei bewenden lassen, Daniel.«
Falls Sachmet, die Löwin, ihn gehört hatte, war sie anscheinend nicht seiner Meinung. »Ich verlange zu erfahren, was da schiefläuft«, fauchte sie, »und ich verlange zu erfahren, wie es in Ordnung gebracht wird.« Als Besitzerin von
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