Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
noch einmal um eine Idee, obwohl sich der Ozean draußen vor dem Fenster noch genauso wild gebärdete wie eh und je und sich gegen die Felsen warf wie ein verschmähter Liebhaber. »Um die Wahrheit zu sagen, Daniel, ich mache mir Sorgen. Diese Spasmen sind wirklich ein Problem. Keiner meiner Leute wird im mindesten daraus schlau, doch selbst unsere vagsten Prognosen klingen nicht gut. Und wie du weißt, passieren noch andere Sachen – ein paar sehr üble Rückschläge in den Kundenknoten, den Pachtwelten und sonstwo. Dieses Kunoharafiasko zum Beispiel.«
»Das hab ich mitgekriegt. Aber ich dachte, es läge bloß daran, daß das System zur Zeit voll online geht, es wäre eine einmalige Sache. Du willst damit sagen, daß es was Ernstes ist, hä? Meinst du, es könnte mit diesem Kerl zusammenhängen, der in das System abgehauen ist, dem Gefangenen des Alten Mannes? Ist er ein Saboteur oder sowas?«
Wells schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie selbst ein Experte das System häcken könnte, wenn er selber drin ist – jedenfalls nicht, wenn er so weit drin ist wie der. Und es kommt mir vor wie irgendwas viel Größeres. Es ist eine chaotische Perturbation. Spar dir diesen Blick, Daniel, ich weiß, daß du nicht blöd bist. Wenn ein kompliziertes System eine Macke entwickelt, kann es klein anfangen, aber wenn es damit weitermacht…«
»Herrgott nochmal!« Yacoubian hatte plötzlich das Bedürfnis, etwas zu schlagen. »Heißt das – diesen politischen Scheißdreck mal beiseite –, das ganze Ding könnte tatsächlich voll in die Hosen gehen? Nach den ganzen Jahren, der ganzen Arbeit, dem ganzen Geld?«
Wells runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht, daß es richtig zusammenbrechen wird, Daniel. Aber wir sind hier auf Terra incognita, fast buchstäblich.« Er legte seine knochigen Hände auf den Tisch und betrachtete eingehend die straff gespannte Haut, als hätte er sie noch nie gesehen. »Da laufen ein paar sehr merkwürdige Dinge. Was den Gefangenen des Alten Mannes betrifft – erinnerst du dich an den Aufspüragenten, den wir nach ihm ausgeschickt haben, das Nemesisprogramm?«
»Erzähl mir bloß nicht, daß es den Geist aufgegeben hat oder sowas.«
»Nein, nein, nichts dergleichen. Es ist immer noch da und geht seiner Aufgabe nach. Aber … ich weiß nicht genau, wie ich es ausdrücken soll… es ist nicht ganz da.«
»Hä?« Yacoubian sah sich nach etwas um, wo er seine Zigarre ausdrücken konnte, aber Wells war mit den Gedanken woanders, und kein Aschenbecher erschien. Der General legte sie auf die Tischkante. »Ich kann dir nicht ganz folgen.«
»Ich bin mir selbst nicht darüber im klaren, was los ist. Das ganze Jericho-Team ist dabei, die Daten zu sondieren, aber eins ist klar – Nemesis arbeitet weit unter seiner Kapazität. Als ob ein Teil für andere Aufgaben abgezogen worden wäre. Aber wir können nicht sagen, warum oder wie oder was überhaupt genau vor sich geht.«
»Es ist doch bloß ein Stück Gear. Kannst du nicht ein anderes losschicken?«
Wells winkte ab. »Zu kompliziert. Zum einen würden wir gern dieses Gear studieren, ohne es noch zusätzlich zu irritieren. Vielleicht kommen wir auf dem Weg dahinter, was die Systemspasmen verursacht – allein herauszufinden, was diese Spasmen eigentlich sind, wäre schon ein Fortschritt. Zum andern liegt es an der Art, wie der Nemesiscode nach Mustern sucht … Na ja, es wäre, als hätte man so viele Geheimpolizisten auf denselben Fall angesetzt, daß sie anfangen, sich gegenseitig zu verhaften.«
Yacoubian schob seinen Sessel zurück und stieß dabei die Zigarre von der Kante; sie verschwand, bevor sie am Boden aufkam. »Heilige Scheiße, ich hoffe, du bist glücklich, Wells. Den Tag hast du mir versaut. Ich denke, ich geh nach Hause und erschieß mich.«
»Tu’s nicht, Daniel. Aber ich hoffe in der Tat, daß du mit mir Rücksprache nimmst, bevor du auf der nächsten Sitzung etwas allzu Drastisches tust. Die Situation wird eine ganze Weile ziemlich heikel sein.«
Der General blickte finster, aber die Schlacht war schon verloren. »Sei’s drum.« Er klopfte sich wieder auf die Tasche, bevor er sich erinnerte. »Übrigens, Bob, könntest du mir dann einen Ausgang öffnen?«
»Stimmt was nicht mit deinem System, Daniel?«
»Ja-a. Mein Team fummelt grade dran rum. Nur eine kleine Sache.«
»Gewiß. Bist du bereit?«
»Ich denke schon. Ach, eins noch – reine Neugier, weißt du. Hast du … ist in deinem System schon mal
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