Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
eigenes erschöpftes Zittern oder das Flügelschwirren der mechanischen Libelle.
»Komisch, nicht?« sagte eine der beiden Gestalten in Jumpsuits, die vorne im Cockpit saßen. »Daß man seinen wirklichen Körper mit einer imaginären Decke wärmt, meine ich. Aber alles hier läuft mehr oder weniger über Symbole. Die Decke ist ein Symbol für ›Ich hab’s verdient, warm zu sein‹, und deshalb empfängt dein neuronales Interface diese Botschaft.«
Sie schüttelte den Kopf aus einem unsinnigen Drang heraus, dem zu widersprechen, der unfaßbaren fremden Gestalt zu erklären, daß sie nichts derart Hochklassiges wie ein neuronales Interface besaß, aber jedesmal, wenn sie den Mund aufmachte, klapperten ihre Zähne. Sie konnte die Filmschleife nicht abstellen, die unaufhörlich in ihrem Kopf ablief – drei Sekunden T4b, wie er erst um sich schlug und dann geschluckt wurde, wieder und wieder und wieder.
Der näher sitzende der beiden Libellenpiloten nahm den Helm und die Brille ab, und zum Vorschein kam ein Kopf mit kurzgeschorenen schwarzen Haaren, asiatischen Augen und runden femininen Zügen. »Ein paar Minuten noch. Dann sind wir im Stock und können uns um dich kümmern.«
»Ich glaube, ich sehe was«, sagte der andere Jumpsuit. Die Stimme klang männlich, doch das Gesicht war noch unter dem Gogglehelm verborgen. »Ich geh mal ein bißchen tiefer.«
Renies Magen brauchte ein paar Sekunden, um mitzukommen, als sie im Sturzflug wieder auf den Fluß zusausten.
»Da hält sich jemand an Treibgut fest. Sieht aus wie … ein Affe?«
» !Xabbu !« Renie sprang auf und knallte mit dem Kopf schmerzhaft an die Decke der Nische. Die Polsterung war nicht besonders dick. »Das ist mein Freund.«
»Gebongt«, sagte der Pilot. »Ich denke, wir brauchen nochmal die Leiter, Lenore.«
»Chizz. Aber wenn der ein Affe ist, wird er ja wohl selber hochklettern können.«
Kurz darauf saß !Xabbu neben Renie in der Nische. Sie hielt den kleinen Affenkörper fest umschlungen.
Auch nach mehrmaligem Überfliegen des aufgewühlten Wassers waren keine weiteren Überlebenden zu entdecken.
»Tja, das mit euern Freunden ist Pech«, sagte der Pilot, als die Libelle den Fluß hinter sich ließ und in den Wald voll unmöglich hoher Bäume flog. »Manche packen’s, andere gehn drauf.« Er nahm seine Goggles ab, unter denen ein sommersprossiges, längliches Gesicht mit europiden Zügen zum Vorschein kam, dann legte er die Libelle seelenruhig auf die Seite und huschte knapp zwischen zwei berghohen, aber dicht aneinander lehnenden Baumstämmen hindurch, so daß Renie und !Xabbu sich an der Nischenwand festklammern mußten. »Aber so geht’s – dieser Fluß ist nichts für Anfänger.«
Renie verschlug seine Kaltschnäuzigkeit die Sprache. Lenores Miene war mißbilligend, schien aber nur den leichten Tadel auszudrücken, mit dem man guckt, wenn man den kleinen Bruder mit der Hand in der Keksdose erwischt hat.
»Laß sie in Ruhe, Cullen. Du weißt doch gar nicht, was sie machen. Vielleicht ist es ein echtes Problem.«
»Ja, ja.« Der hagere Pilot feixte sichtlich ungerührt. »Das Leben ist hart, und dann wird man auch noch von Fischen gefressen.«
»Wer seid ihr?« fragte !Xabbu eine halbe Sekunde, bevor Renie sie ankreischen konnte.
»Die Frage ist vielmehr … wer seid ihr?« Cullen warf einen kurzen Blick über die Schulter und richtete seine Aufmerksamkeit dann wieder auf das Megalaubwerk, das an der Windschutzscheibe der Libelle vorbeiwitschte. »Wißt ihr nicht, daß das hier Privatgelände ist? Glaubt mir, wenn ihr unbedingt jemand verätzen wollt, dann sind ein Haufen andere dafür sehr viel empfehlenswerter als gerade Kunohara.«
»Kunohara?« Renie hatte Schwierigkeiten, dem allen zu folgen. Waren nicht soeben ihre Gefährten ums Leben gekommen? War das diesen Leuten völlig gleichgültig, auch wenn dies eine virtuelle Welt war? »Wovon redest du eigentlich?«
»Also, es muß euch doch aufgefallen sein, daß ihr in eine andere Simulation hineingeraten seid«, sagte Lenore, deren friedliche Stimme dabei einen ganz leisen Unterton der Ungeduld bekam. »Dieses ganze Environment gehört Hideki Kunohara.«
»Dem König der Krabbler«, sagte Cullen und lachte. »Zu schade, daß eure Freunde das verpassen.«
Renie unterdrückte mühsam ihre Empörung, denn sie mußte an Atasco denken und an die Fehler, die sie in seiner Welt gemacht hatte. »Ich verstehe nicht. Was soll das alles heißen?«
»Na ja, eure Freunde werden
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