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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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um zu sehen, wie es ging, und handelte sich ein feuchtes Schnauben von Sweet William ein: »Du bringst mich aus dem Gleichgewicht. Egal, was du da machst… laß es.«
    Orlando ließ es und verspürte eine leise Befriedigung über die zurückkehrende Willigkeit seines virtuellen Fleisches.
    Kurz darauf zerrte William ihn auf die rundgeschliffenen Steine des Strandes und stellte sich dann mit klatschnaß an Schultern und Kopf klebendem Federputz vor ihn. »Warte jetzt hier, mein junger Held«, sagte er. »Denke gute Gedanken. Ich muß nochmal rein und die blinde Herzdame ans Ufer schleppen.«
    Orlando war mehr als zufrieden damit, in der warmen Sonne zu liegen, seine Finger und Zehen zu beugen und zu strecken und nach wenigen Minuten schon seine Arme und Beine. Seine Lungen taten immer noch weh, wenn er nicht ganz flach atmete, und alle seine Muskeln schmerzten, doch er fühlte fast nichts mehr von der diffusen, losgelösten Verträumtheit, die er seit der Einnahme von Atascos königlichem Prunkschiff empfunden hatte. Doch eine partielle innere Dunkelheit quälte ihn immer noch, ein Schatten, den er weder recht benennen noch deutlich erkennen konnte.
    Irgendwas ist passiert. Ich hatte … einen Traum? In dem Beezle vorkam? Und ein kleines Kind? Es war quälend, weil ihm das alles sinnlos vorkam, während gleichzeitig tief in seinem Innern etwas ihm zuflüsterte, daß dies alles sehr wohl einen Sinn habe. Sollte ich irgendwas tun? Jemandem helfen? Ein anderer, noch beklemmenderer Gedanke nahm langsam Gestalt an. War ich beinahe tot? Ich hin ins Dunkel abgesunken. War ich am Sterben?
    Er schlug die Augen auf und sah den Rest der Gruppe an Land stapfen, Sweet William mit Martine auf dem Arm. Er ließ sie mit überraschender Behutsamkeit neben Orlando ab. Erst als alle sich zu einem kleinen Kreis versammelten, merkte Orlando, daß noch etwas nicht stimmte.
    »Wo sind die andern? Wo ist…?« Einen Moment lang wollten ihm die Namen nicht einfallen. »Wo ist Renie – und ihr Freund? Und der mit dem Körperpanzer?«
    Quan Li schüttelte den Kopf, aber sagte nichts, guckte nur auf die Steine am Strand.
    »Weg«, sagte Florimel. »Vielleicht ertrunken, vielleicht irgendwo anders an Land gespült.« Ihr nüchterner Ton klang irgendwie gekünstelt, als würde sie einen Schmerz unterdrücken. »Wir sind alle über Bord gegangen. Die du hier siehst, konnten sich am Blatt festklammern. Dein Freund hat dich wieder hochgezogen und deinen Kopf über Wasser gehalten. Deshalb bist du noch am Leben.«
    Orlando wandte sich Fredericks zu. »Du kannst mich ja vors Netzgericht Live bringen«, sagte Fredericks trotzig. »Ich hatte nicht vor, dich ertrinken zu lassen, bloß weil du ein Idiot bist.« Orlando wurde ganz flau im Magen. Wie oft hatte ihm sein Freund in letzter Zeit eigentlich das Leben gerettet?
    Wie um die Frage zu unterstreichen, fügte Sweet William hinzu: »Außerdem, mein Bester, hast du ein Päuschen beim Atmen eingelegt, kurz bevor wir gekentert sind. Flossie hat dir ein Erstehilfedingsbums verpaßt.«
    »Florimel, nicht Flossie.« Sie funkelte den triefenden und schmutzigen William zornig an. »Das hätte jeder andere auch getan.«
    »Danke.« Trotz der weiteren Dankesschuld war Orlando sich nicht sicher, was er von dieser grimmigen Frau halten sollte, und dabei wurde ihm die Schwere ihres Verlustes erst richtig bewußt. »Können wir nicht nach Renie und den andern suchen? Was ist, wenn sie Hilfe brauchen?«
    »Einige von uns sind im Augenblick nicht ganz so forsch, weil uns keiner huckepack genommen hat«, bemerkte William. »Einige von uns sind so müde, daß wir uns einfach hinhauen und eine Woche durchschlafen könnten.«
    Orlando ließ seinen Blick über das Ufer schweifen; aus seiner Zwergenperspektive wurde es von trockenen braunen Flußbetten in schmale Streifen felsigen Strandes zerschnitten. Der Fluß selbst, eine mächtige grüne Flut, die dahinrollte wie eine sturmgepeitschte See, entschwand in der Ferne. Gegenüber auf der anderen Seite ragten die ersten Waldbäume in die Höhe, von denen jeder so gewaltig wirkte wie die Weltesche der germanischen Sage, hoch wie die Bohnenranke im Märchen von Hans. Doch noch etwas anderes außer der Größe der Dinge war verblüffend. »Es ist Morgen«, sagte er. »Es war doch grade eben erst Abend. Macht die Zeit hier Sprünge?«
    »Hört ihn euch an.« William lachte. »Bloß weil er ein Nickerchen gemacht hat, während wir übrigen uns die ganze Nacht im Wasser

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