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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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eigentlichen Regenten von Venedig – die Männer, die jedes Vergehen verfolgen«, wisperte Eleanora.
    Paul beobachtete mit wachsendem Unbehagen, wie die Gruppe vor dem Kapelleneingang stehenblieb und sich leise unterredete. Seine Panik von vorher kehrte zurück, jetzt noch stärker. Wie konnte Eleanora über etwas nicht Bescheid wissen, das sich in ihrer eigenen Simulation abspielte? Sein Magen verkrampfte sich, und seine Haut wurde kalt. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß er weglaufen sollte, so schnell er konnte, ganz gleich in welche Richtung.
    Der letzte des Zehnerrats trat aus der Kapelle, gefolgt von Nummer elf und zwölf. Im Unterschied zu den anderen waren diese beiden in schlichte dunkle Kapuzengewänder gekleidet. Einer war außerordentlich groß und breit. Der andere wirkte ungewöhnlich dünn, auch wenn das wegen des lockeren Gewandes schwer zu erkennen war.
    Der Schmächtige sagte etwas, und die ihm am nächsten stehenden Ratsherren schüttelten die Köpfe; es sah mehr nach einem ängstlichen Beschwichtigungsversuch als nach echtem Einvernehmen aus.
    »O Gott.« Paul zitterten die Knie. Er hielt sich an der Wand fest, um nicht umzufallen. »O Gott, sie sind da.« Die Worte waren kaum mehr als ein Murmeln – womöglich hatte nicht einmal Eleanora neben ihm sie gehört –, aber Paul in seiner Angst kam es so vor, als schrillten und hallten sie durch das hohe, düstere Gewölbe. Sein pochendes Herz fühlte sich in seiner Brust wie eine Trommel an, die verkündete: Hier bin ich!
    Im Hauptschiff drehten sich zwei vermummte Köpfe gleichzeitig in seine Richtung und spähten in die Dunkelheit wie Bluthunde, die die Witterung der Beute aufnehmen. Jetzt sah er, daß sie beide Karnevalsmasken aufhatten, nackte weiße Gesichter, die wie Totenschädel aus den dunklen Kapuzen herausschauten. Der Dünne trug die Maske der Tragödie, und sein dicker Gefährte zeigte das leere grinsende Gesicht der Komödie.
    Der Puls klopfte so heftig in seinem Kopf, daß Paul ohnmächtig zu werden meinte. Er streckte die Hand nach der Frau neben sich aus, aber sie war nicht da. Die Angebetete des Kardinals hatte ihn alleingelassen.
    »Ja, wir wissen, daß du hier bist, Jonas«, rief die Stimme, die einmal Finch gehört hatte. Die Worte wehten ihn an wie Giftgas. »O ja. Wir können dich riechen, und wir können dich hören – und jetzt werden wir dich fressen.«

 
Kapitel
     
Rotes Land, schwarzes Land
     
    NETFEED/MODERNES LEBEN:
    ANVAC verklagt Griggs
    (Bild: das Griggssche Haus, im Vordergrund Geschütztürme)
    Off-Stimme: Bell Nathan Griggs, der mit »Inner Spies« und »Captain Corpse« und anderen Netzsendungen Spitzeneinschaltquoten erzielte, wird von ANVAC, dem größten Sicherheitsunternehmen der Welt, gerichtlich belangt. ANVAC bezichtigt Griggs, die zwischen ihnen bestehende Sicherheitsvereinbarung gebrochen zu haben, indem er sein Haus in Isla Irvine der Netzsendung »Cot ’n’ Cave« geöffnet und damit ANVAC-Sicherheitsanlagen und -verfahren preisgegeben habe.
    (Bild: ANVAC-Zentrale — eine glatte, fensterlose Außenwand)
    Von ANVAC ist kein Kommentar über das angestrengte Verfahren zu erhalten, aber Griggs ist untergetaucht, allerdings nicht ohne den Medien eine Erklärung abzugeben.
    (Bild: Griggs als unkenntliche Schattengestalt)
    Griggs: »… Weiß Gott hab ich Angst. Diese Leute werden dafür sorgen, daß ich irgendeinen Unfall habe. Ich dachte, es wäre mein privates Zuhause — mein Heim. Ha! Naiv ist gar kein Ausdruck.«
     
     
    > Sie schliefen in jener Nacht in einem Lager auf dem Linoleum am Fuß des Küchentresens. Eine Zeitspanne tieferer Dunkelheit endete, als die Glühbirne hoch über ihnen wieder zu leuchten begann. Die Küche, schien es, existierte nur als nächtliche Welt. Jetzt brannte die Birne wieder, und es war wieder Nacht, die in der Küche »Tag« bedeutete. Orlando und seine Gefährten standen auf.
    Er und Fredericks halfen dem Häuptling in deprimiertem Schweigen beim Beladen des Kanus. Der Indianer sagte kaum ein Wort, und sein Kind war selbst mit den Verbrennungen am Kopf kaum weniger stoisch. Nach einer Weile bekam sogar die geschwätzige Landschildkröte die allgemeine Stimmung mit und gab ihre Versuche auf, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Orlando war erleichtert. Im Augenblick war jede Unterhaltung Arbeit für ihn. Er trauerte, auch wenn er nicht wußte, warum.
    Eigentlich war es widersinnig. Er und Fredericks hatten bei der Rettung des Indianerkindes mitgeholfen und

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