Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
dabei ein sauber aufgebautes Abenteuer erlebt, das sich mit Thargors sonstigen Taten mehr als messen konnte, wenn auch in einer Welt, gegen die Mittland so ordentlich und normal wirkte wie die verschlafenste RL-Vorstadt. Er und sein Freund waren in die Tiefen des Gefrierfachs vorgedrungen und hatten dort einen zweifellos wichtigen, wenn auch kryptischen Hinweis auf den Aufenthaltsort ihrer Gefährten erhalten. Seine Spielweltinstinkte hatten sich alle als richtig erwiesen. Warum hatte er dann ein Gefühl, als wenn jemand, den er gekannt hatte, gestorben und er daran schuld wäre?
Fredericks, von denselben Erfahrungen aufgewühlt, war schlecht gelaunt, ein weiterer Grund, keine Energie auf Gesprächsbemühungen zu verschwenden. Doch als sie in das Kanu gestiegen waren und Häuptling Starke Marke sie mit kräftigen Schlägen in das tiefere, schnellere Wasser des Flusses aus dem überlaufenden Spülbecken paddelte, fühlte Orlando sich schließlich genötigt, das Schweigen zu brechen.
»Wo fahren wir hin?«
»Fluß runter«, antwortete der Indianer.
Orlando blickte Zündi an, den sein Vater sich auf den Rücken gebunden hatte. Das Kleinkind, dessen Züge so karikaturesk waren wie die seines Erzeugers, trug um den winzigen roten Kopf eine Decke gewickelt, die der Häuptling in Flußwasser getaucht hatte. Schwarze Brandspuren guckten unter den Rändern des notdüftigen Verbandes hervor, aber das Kind ließ sich keinerlei Beschwerden anmerken und erwiderte Orlandos Blick mit verstörend ernsten schwarzen Augen. »Den Fluß runter?« fragte Orlando. »Haben wir sonst noch was zu erledigen?«
»Bringen euch zu Ende von Fluß«, erklärte der Häuptling. »Ihr nicht hierher gehören.«
Er sagte das so nüchtern und sachlich, und es stimmte so offensichtlich, daß Orlando den kleinen Stich, den ihm das versetzte, mit Verwunderung registrierte. So niederschmetternd ihr Erlebnis im Gefrierfach gewesen war, fühlte er sich doch in der Welt der Küche oder in sonst einer der virtuellen Welten, in denen sie gewesen waren, glücklicher, als er je zuvor im RL gewesen war.
»Ich hab’s nicht besonders eilig, wißt ihr«, fügte die Landschildkröte hinzu. »Der Häuptling hat versprochen, mich auf seinem Rückweg zur Quelle des Flusses irgendwo abzusetzen. Es tut mir gar nicht leid, noch ein wenig Zeit mit euch zu verbringen. Piraten, Entführung, eine große Schlacht – wir haben wirklich ein tolles Abenteuer zusammen erlebt!«
»Abenteuer …?« Orlando wußte nicht, wie er der Landschildkröte erklären sollte, daß ihm das als bodenlose Untertreibung vorkam, und er hatte auch nicht die geringste Lust dazu. Neben ihm starrte Fredericks trübsinnig auf das vorbeiziehende Flußufer, auf die Schränke, die wie die Felsen einer hohen Steilküste aufragten. Orlando wandte sich wieder der Landschildkröte zu und rang sich ein Lächeln ab. »Ja, echt toll, was?«
Am Ende des langen, nächtigen Tages hatten sie das Ende des Flusses immer noch nicht erreicht.
Nach den Schränken kamen zuerst seifige, schäumende Sümpfe am Fuß eines Massivs, in dem Orlando eine altmodische Waschmaschine vermutete. Von der Flußmitte aus sahen sie über den ganzen Sumpf verteilt Hütten auf Pfählen. Einige der Bewohner traten aus den Türen und beobachteten die vorbeifahrenden Fremden, doch obwohl sie alle mit Speeren bewaffnet zu sein schienen – soweit Orlando sagen konnte, sollten sie afrikanische Wilde darstellen, waren aber in Wirklichkeit Bleichmittelflaschen mit peinlich übertriebenen Negergesichtern und strahlend weißen Zähnen –, unternahmen sie nicht mehr, als damit träge Drohgebärden zu vollführen.
Nach einigen Stunden gingen die Sümpfe in eine Wiese über, die aus einer Art Fußbodenmatte zu bestehen schien und von Scheuerschwammschafen abgeweidet wurde, jedes ein reinweißer, makelloser Bausch. Es gab auch ein paar Spülbürstengiraffen, die lange Hälse machten, um die Keramikbecher zu putzen, die an den verstreut auf der Sisalsteppe stehenden Tassenbäumen hingen.
Orlandos Wahrnehmungsvermögen hatte nicht gelitten, auch wenn seine Fähigkeit, alles zu genießen, einen Knacks bekommen hatte. Er beobachtete mit Bewunderung, wie aus dem Küchengedanken eine ganze Welt mit reichlich Erfahrungsraum und jeder Menge Erlebnismöglichkeiten entwickelt und dennoch die Grundgegebenheit der Küche erhalten worden war. Auch der Trick mit den Entfernungen faszinierte ihn weiter. Er konnte nach wie vor das Spülbecken sehen,
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