Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
verstanden, zog der Teufel ein grimmiges Gesicht und löste sich mit einem frechen, zischenden Lachen, das dennoch ein klein wenig enttäuscht klang, wieder in den Flammen auf. Eine kurze Zeit war das einzige Geräusch das Knistern des exorzierten Lagerfeuers.
»Das Ding da im Gefrierfach«, sagte Fredericks schließlich. »Nach dem Schneewittchen. Das … andere Ding. Das war real, nicht wahr?«
Orlando mußte nicht nachfragen, was sein Freund meinte. »Äh, ja. Ich nehm’s an. Ich weiß nicht, was es war, nicht so richtig …«
»Aber es war real.« Fredericks rieb sich die Augen. »Es … es ist einfach trans scännig, Orlando. Wie sind wir da reingeraten? Was läuft da? Dieses Ding – das war der wirkliche Teufel, glaub ich. Echt vollblock Mittelalter. Der Leibhaftige.«
»Ich weiß nicht recht.« Orlando erinnerte sich an das Gefühl, aber es war jetzt viel distanzierter. Etwas so Bizarres, so Totales ließ sich nur als verwaschene Kopie ins Gedächtnis rufen. »Mir war, als wäre es überall. Eher wie Gott.«
»Aber, weißt du, mir war das vorher nicht klar.« Fredericks wandte sich ihm zu, und sein dünnes Pithlitgesicht sah fast krank aus, so fertig war er. »Nicht mal, wo ich rausgefunden hab, daß wir hier festhängen … wo ich offline gegangen bin und es gebrannt hat wie … wie …« Er rang nach Worten. »Ich hätte nicht gedacht, daß es sowas wie dieses Ding geben könnte, ob im RL oder in der VR oder sonstwo – nirgends! Das war böse. Wie ein Ungeheuer aus Mittland, aber in echt!«
Auf Orlando hatte die Erfahrung einen komplexeren Eindruck gemacht, aber er wollte nicht widersprechen. Er wußte, was Fredericks meinte – auch ein Teil von ihm hatte weiter an dem Gedanken festgehalten, dies alles sei nur ein Spiel. Jetzt war ihm bis ins Innerste klar, daß es etwas gab, das erschreckender war als alles, was er sich je hätte vorstellen können – daß die Angst, die es hervorrief, schlimmer war als selbst seine Furcht vor dem Tod.
»Ja. Es war …« Es gab einfach keine Worte dafür. »Es war das megamäßigste Ding überhaupt«, sagte er schließlich. »Ich dachte, mir würde das Herz zerspringen.«
Wieder trat Stille ein, unterbrochen nur vom Geräusch des Feuers und den pfeifenden Schnarchtönen der Landschildkröte.
»Ich glaub, wir kommen hier nicht wieder raus, Orlando. Irgendwas läuft voll megaschief. Ich will nach Hause, mehr als alles auf der Welt.«
Orlando sah, daß sein Freund, oder seine Freundin, mit den Tränen kämpfte, und auf einmal fühlte er, wie sich ganz unerwartet etwas in ihm öffnete. Es war, als ob eine lange verschlossene Tür, deren Angeln schon völlig verrostet waren, plötzlich sperrangelweit aufgerissen würde. Was auf der anderen Seite lag, war kein heller Frühlingstag, aber es war auch keine Finsternis. Es war einfach … etwas anderes. Die Tür war in ihm aufgegangen – in seinem Herzen, sagte er sich –, und hinter dieser Tür wartete der Rest seines Lebens, einerlei wie lang oder kurz es sein würde.
Es war einigermaßen überwältigend, und eine Weile meinte er, ohnmächtig zu werden oder einfach umzukippen. Als er wieder bei sich war, konnte er nicht anders, als zu sagen: »Ich krieg dich irgendwie hier raus. Ich schwör’s, Sam – verstehst du? Ich verspreche, daß du wieder nach Hause kommst.«
Fredericks drehte sich mit schiefgelegtem Kopf um und beäugte ihn kritisch. »Ist das wieder irgendso ’ne Junge-und-Mädchen-Kiste, Gardiner?«
Orlando lachte, aber es tat auch ein wenig weh. »Nein«, sagte er, und es kam ihm wie die Wahrheit vor. »Ich denke nicht. Es ist ’ne Freundkiste.«
Sie legten sich wieder nebeneinander schlafen. Seinen Atemgeräuschen nach zu urteilen, war Fredericks sofort weg, aber Orlando lag noch lange wach, blickte in die dunklen Winkel der Küchendecke empor und wünschte, es gäbe Sterne.
Sie waren erst wieder eine Stunde auf dem Fluß gefahren, als Starke Marke das Kanu ans Ufer lenkte. Er stieg mit seinem Sohn auf den Armen aus und winkte der Landschildkröte, ihm zu folgen, doch als Orlando und Fredericks sich anschließen wollten, schüttelte er den Kopf.
»Nein. Ihr nehmen Kanu.« Er deutete flußabwärts. »Ende von Fluß da lang. Ganz nah.«
»Aber was werdet ihr machen?« Orlando blickte von dem Indianer zu dem trügerisch friedlichen Fluß, der sich hier schmal durch einen Hain aus Flaschenbürsten schlängelte. »Dein Zuhause … deine Frau …«
Der Häuptling schüttelte abermals den Kopf.
Weitere Kostenlose Bücher