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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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immer machte.
    Im Innern des Tunnels war es heiß und feucht und dunstig, und zunächst sah sie nicht sehr viel. Auf dem Boden stand ein kleiner Herd mit einem blubbernden Topf darauf, und daraus entwich der Dampf, dessentwegen man kaum etwas erkennen konnte. Die Luft roch komisch, nicht säuerlich wie der Junge, sondern wie etwas aus dem Arzneischrank zuhause oder eine der Sachen, die ihr Papi trank.
    Als sie drinnen war, stand sie auf. Wegen der nebligen Luft sah sie nicht, wo sie langgehen sollte. Der Junge gab ihr einen kleinen Stups, nicht allzu doll, aber auch nicht sehr freundlich, so daß sie stolperte und beinahe hingefallen wäre. Sie bekam wieder Angst. Herr Sellars rief ihr immer einen Gruß zu, auch wenn sie vorbeikam, ohne erst in der MärchenBrille mit ihm zu reden.
    »Bringse was zu essen mit, mu’chita?« fragte der Junge.
    »Ich will Herrn Sellars sehen.«
    »Ay, Dios! Dann geh ’alt.« Er trat von hinten an sie heran, als wollte er sie wieder stupsen, und Christabel trippelte eilig über den nassen Beton, um nicht von ihm angefaßt zu werden.
    Herrn Sellars’ Rollstuhl stand leer an einer der breiten Stellen im Tunnel, was ihr noch mehr Angst machte. Ohne den alten Mann sah er wie etwas aus den Nachrichten aus, wie eines von diesen Raumschiffdingern, die auf dem Mars landeten und anfingen, kleine Maschinen zu machen, wie eine Katze, die Junge kriegt. Sie blieb stehen und traute sich nicht in die Nähe, nicht einmal, als der Junge dicht hinter ihr war. Sein Atmen klang sehr laut. Ihres auch.
    »Die kleine Zicke spinnt«, sagte der Junge.
    Im Schatten hinter dem Rollstuhl regte sich etwas. »Was?« fragte eine leise Stimme.
    »Mu’chita loca, eh? Sagse, sie will mit dir reden und zickt dann bloß rum. Was weiß ich.« Der Junge schnaubte verächtlich und hantierte dann an dem Topf mit kochendem Wasser herum.
    »Herr Sellars?« Christabel fürchtete sich immer noch. Er klang komisch.
    »Kleine Christabel? Das ist ja eine Überraschung. Komm her, mein Liebes, komm her.« Sie sah eine Hand ganz schwach winken, und sie ging um den Rollstuhl herum. Herr Sellars lag auf einem Haufen Decken und war noch mit einer zugedeckt, so daß nur sein Kopf und seine Arme herausschauten. Er sah sehr hager aus, noch mehr als sonst, und er hob nicht den Kopf, als sie näher kam. Aber er lächelte, und das erleichterte sie ein wenig.
    »Laß dich anschauen. Du mußt entschuldigen, daß ich nicht aufstehe, aber ich fürchte, ich bin im Augenblick ziemlich schwach. Die Arbeit, die ich mache, ist recht kräftezehrend.« Er schloß die Augen, fast als ob er einschlafen wollte, und es dauerte lange, bis er sie wieder öffnete. »Ich bitte auch um Nachsicht wegen der Luft hier. Mein Luftbefeuchter ist defekt – das heißt, er geht nicht mehr –, und da mußte ich etwas improvisieren.«
    Christabel wußte, was ›defekt‹ bedeutete, weil der RipsRapsRoboter bei Onkel Jingle das immer sagte, wenn sein Hinterteil abfiel. Sie war sich jedoch nicht ganz sicher, was Herr Sellars damit meinte, da sein Luftbefeuchter, soweit sie wußte, gar nichts mit seinem Hinterteil zu tun hatte. Auch »improvisieren« verstand sie nicht so recht, doch sie vermutete, daß es etwas mit Wasserkochen zu tun hatte.
    »Wirst du denn wieder gesund werden?« fragte sie.
    »Oh, ich hoffe doch. Es gibt viel zu tun, und solange ich flach auf dem Rücken liege, werde ich nicht viel zustande bringen. Na ja, eigentlich könnte ich auch auf dem Kopf stehen, und es würde kaum etwas ändern, nur kräftiger werden muß ich unbedingt.« Er machte einen Moment die Augen ganz weit auf, als sähe er sie eben zum erstenmal richtig. »Entschuldige, mein Liebes, ich plappere so vor mich hin. Es geht mir nicht sehr gut. Was führt dich zu mir? Solltest du nicht…«, er zögerte kurz, den Blick auf etwas Unsichtbares gerichtet, »in der Schule sein?«
    »Sie ist aus. Ich bin auf dem Weg nach Hause.« Christabel hatte das Gefühl, daß es Geheimnisse zu berichten gab. Sie wollte nicht über die Schule reden. »Wieso hast du mich nicht angerufen?«
    »Wie gesagt, mein Liebes, ich arbeitete sehr schwer. Und ich will dich nicht in Schwierigkeiten bringen.«
    »Aber warum ist der hier?« Sie flüsterte, aber der Junge hörte es trotzdem und lachte. Einen Moment lang hatte sie keine Angst vor ihm, sie haßte ihn bloß, haßte sein dummes Gesicht, das sie immer sehen mußte, wenn sie Herrn Sellars besuchen kam. »Er taugt nichts, Herr Sellars. Er ist schlecht. Er stiehlt

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