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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Schreibtischschublade nach den Keksen. Diät, scheiß drauf. Sie würde sich eine Statur anfressen, daß dieser Jigalong vor Schreck das Herz in die Hosen rutschte.
    Was sie nach langer und fruchtloser Suche in der Schublade fand, war ein zwei Tage altes Schuldbekenntnis von Stan Chan, eine Quittung über die Packung Kekse, die er ihr gestohlen hatte.
     
    Der Keksdieb war gerade in einem anderen Fall unterwegs, deshalb begab sich Calliope allein in die Universität. Sie verpaßte den Zubringerbus vom Parkplatz und beschloß, zu Fuß über den Campus zu gehen, statt auf den nächsten zu warten.
    Die Studenten waren einheitlich gut gekleidet – sogar die Imitate von Gossenmode waren teuer und edel geschneidert; Calliope war sich ihres ausgesprochen unschicken Anzugs und ihrer flachen, praktischen Treter mehr bewußt, als ihr lieb war.
    Die meisten der jungen Leute, die sie sah, waren Asiaten aus den Pazifikanrainerstaaten, und obwohl sie schon gewußt hatte, daß viele Festlandchinesen an der UNSW eingeschrieben waren (einer der Spitznamen der Hochschule war »BUSX«, was für »Beijing University, Sidney Extension« stand), war es doch ein wenig verblüffend, es so unmittelbar vor sich zu sehen. Das ganze Land war im Grunde inzwischen halbasiatisch, sinnierte sie, obwohl die meisten der Asiaten, wie etwa Stan, ob ihre Großeltern nun Chinesen, Laoten oder Koreaner gewesen waren, jetzt genauso australisch waren wie »Waltzing Matilda«. Sie waren zu Normalbürgern geworden. Komisch, wie das passierte. Aber natürlich waren nicht alle Normalbürger: einige, die Aborigines zum Beispiel, blieben weitgehend ausgeschlossen.
    Professor Jigalongs erste Reaktion beim Fongespräch fiel ihr ein und erinnerte Calliope daran, daß noch vor wenigen Generationen ihre aus Griechenland eingewanderten Ureltern die komischen Ausländer gewesen waren, die Zielscheibe von Witzen und manchmal auch von häßlicheren Sachen. Aber freilich, wenn man es vom Aboriginestandpunkt aus betrachtete, waren Calliope und ihre griechisch-australischen Vorfahren von irgendwelchen anderen Weißen nie sehr verschieden gewesen.
     
    Victoria Jigalongs Büro war nicht größer als die meisten Unikabuffs. Was daran überraschte, war seine Kargheit. Calliope hatte einen Raum erwartet, randvoll mit Aboriginekunst, doch außer einem Schrank mit mehreren Regalen voll alter Papierbücher und einem nicht besonders aufgeräumten Schreibtisch war es so kahl wie eine Mönchszelle. Das formlose weiße Kleid der Professorin aus schwerem Baumwollstoff, dessen Länge noch durch ihre Größe unterstrichen wurde, als sie hinter ihrem Schreibtisch aufstand, wirkte wie ein priesterliches Gewand. Calliope absolvierte einen festen, trockenen Händedruck und ließ sich auf dem einzigen anderen Stuhl nieder, schon wieder aus dem Konzept gebracht.
    »So.« Die Professorin setzte eine geradezu antike Brille auf. Mit den Gläsern vor den Augen und dem glänzenden, haarlosen Kopf machte sie jetzt den Eindruck, komplett aus spiegelnden Oberflächen zu bestehen. »Du willst also etwas über den Woolagaroomythos erfahren?«
    »Äh, ja.« Calliope wäre ein bißchen Geplauder zum Warmwerden lieber gewesen, aber darauf würde sie wohl verzichten müssen. »Ist er allgemein bekannt?«
    »Er ist recht gängig. Er kommt in den Geschichtenzyklen etlicher australischer Urvölker in verschiedenen Formen vor. Die wesentlichen Elemente sind bei den meisten gleich – ein Mann faßt den Vorsatz, einen künstlichen Menschen zu schaffen und ihm Leben zu verleihen. Er baut ihn aus Holz und setzt ihm Steine als Augen ein, aber seine Versuche, ihm durch Magie Leben einzuhauchen, schlagen fehl. Schließlich ist er der Sache überdrüssig und geht weg, aber da hört er, daß er verfolgt wird. Es ist natürlich der Woolagaroo, der erzteuflische Teufel, der auf ihn Jagd macht. Entsetzt versteckt er sich, und der Woolagaroo geht schnurstracks weiter, über Steine und durch Dornen und selbst auf dem Grund der Flüsse, bis er verschwindet.« Sie legte die Fingerspitzen zusammen. »Einige Volkskundler glauben nicht, daß es wirklich ein Mythos aus der Traumzeit ist. Ihrer Meinung nach ist er neueren Datums.«
    »Entschuldigung, dürfte ich dich kurz unterbrechen?« Calliope holte ihr Pad aus der Tasche. »Hast du was dagegen, wenn ich das aufnehme?«
    Professor Jigalong musterte das Gerät mißbilligend, und Calliope hatte schon die bizarre Befürchtung, diese sehr moderne und imposante Frau werde sie gleich

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