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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Feuer gefangen hatte, gab !Xabbu Renie das Feuerzeug zurück, und die steckte es in die Tasche ihres zerfledderten Jumpsuits.
    »Du wirkst sehr traurig«, sagte er zu ihr.
    »Soll ich mich vielleicht freuen?« Es schien ihr reine Zeitverschwendung zu sein, das Offensichtliche zu erklären. »Azadors wirklicher Name ist unser geringstes Problem. Wir sitzen mitten in dieser beschissenen Simulation ohne ein Schiff fest, sind umgeben von was weiß ich für mörderischen Monstrositäten, und damit es uns nicht langweilig wird, scheint auch noch das ganze Netzwerk hopszugehen.«
    »Ja, es war sehr merkwürdig, sehr erschreckend, wie die ganze Welt… anders wurde«, sagte !Xabbu . »Aber es ist nicht das erste Mal, daß wir so etwas erleben. Emily, was uns eben auf dem Fluß und vorher im Palast der Vogelscheuche passierte, ist das hier schon öfter vorgekommen?«
    Das Mädchen sah ihn unglücklich an, und aus ihren großen Augen sprach der Wunsch, einfach bedingungslos zu kapitulieren. »Weiß nicht.«
    »Aus ihr wirst du nichts rausbekommen«, sagte Renie. »Glaub mir, es war nicht das erste Mal. Und es wird wieder passieren. Irgendwas stimmt mit dem ganzen System nicht.«
    »Vielleicht haben sie Feinde«, meinte !Xabbu . »Diese Gralsleute haben sich an vielen Menschen vergangen – vielleicht gibt es noch andere, die sich zur Wehr setzen.«
    »Schön wär’s.« Renie warf eine heruntergefallene Samenschote ins Feuer, wo sie schwarz wurde und sich kringelte. »Ich sag dir, was los ist. Sie haben sich ein riesiges Netzwerk gebaut und Milliarden und Abermilliarden dafür ausgegeben. Weißt du noch, wie Singh erzählte, sie hätten Tausende von Programmierern beschäftigt? Das ist so, wie wenn man einen großen Wolkenkratzer baut oder sowas: Wahrscheinlich macht ihnen das Sick Building Syndrome zu schaffen.«
    »Was für ein Syndrom?« !Xabbu hatte sich mit dem Rücken zum Feuer gesetzt und bewegte beim Aufwärmen langsam seinen Schwanz hin und her, als dirigierte er eine Flammensymphonie.
    »Gebäude, die krank machen. Wenn jemand ein kompliziertes System schafft und es abschottet, werden kleine Sachen nach und nach zu großen Sachen, einfach weil das System geschlossen ist. Mit der Zeit wird ein winziger Fehler in der Lüftungsanlage eines Hochhauses zu einem sehr ernsten Problem. Leute werden krank, Systeme fallen aus, alles mögliche.« Sie hatte nicht die Energie, näher an das Feuer heranzukriechen, aber der schlichte Anblick der tanzenden Flammen und das Gefühl der Hitzewellen munterte sie ein ganz, ganz winzig kleines bißchen auf. »Sie haben irgendwas vergessen, oder einer dieser Programmierer hat das Ding gleich am Anfang sabotiert oder sonstwas. Es wird komplett auseinanderfallen.«
    »Aber das ist doch gut, oder?«
    »Nicht, wenn wir mittendrin stecken, !Xabbu . Wenn wir nicht rauskriegen, wie man offline kommt. Weiß der Himmel, was bei einem Systemkollaps mit uns passieren würde.« Sie seufzte. »Und was passiert mit den ganzen Kindern – mit Stephen? Was ist, wenn sie nur noch von dem Netzwerk am Leben gehalten werden? Sie sind darin eingeschlossen, genau wie wir.« Kaum hatte sie das ausgesprochen, erfaßte sie ein eisiger Schauder, der nichts mit dem Wind über dem Fluß zu tun hatte. »O mein Gott«, stöhnte sie. »Gütiger Himmel, ich bin ein Volltrottel! Warum bin ich nicht eher darauf gekommen …?«
    »Was denn, Renie?« !Xabbu schaute auf. »Du klingst ganz verstört.«
    »Ich hab die ganze Zeit über gedacht, na ja, im allerschlimmsten Fall wird einfach jemand die Tanks aufmachen und uns von der Strippe holen. Vielleicht wird es weh tun, wie dieser Fredericks es geschildert hat, aber vielleicht auch nicht. Aber eben ist mir erst klargeworden, daß … daß wir alle wie Stephen sein müssen.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Wir liegen im Koma, !Xabbu ! Du und ich! Selbst wenn sie uns aus den Tanks rausholen würden, wären wir nicht wach, wir wären bloß … da. So gut wie tot. Wie mein Bruder.« Tränen traten ihr in die Augen – unerwartet, denn sie hatte angenommen, sie hätte alle restlos ausgeweint.
    »Weißt du das sicher?«
    »Ich weiß gar nichts sicher!« Sie wischte sich die Augen und war wütend auf sich selbst. »Aber es klingt einleuchtend, findest du nicht? Etwas, das dich reinzieht und dich nicht wieder in deinen physischen Körper zurückkehren läßt – beschreibt das nicht haargenau, was mit Stephen passiert ist und mit Quan Lis Enkeltochter und allen andern?«
    !Xabbu

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