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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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erschien soeben am Horizont. Er wandte sich langsam um, bis er direkt darauf blickte, und Renie mußte an eine andere Geschichte von ihm denken. !Xabbu hatte ihr erzählt, daß sein Volk glaube, das erste Licht der Morgenröte sei der in sein Lager und zu seiner Braut, der Luchsin, heimeilende Jäger Morgenstern.
    Und eilig hatte es der Morgenstern deswegen, entsann sie sich jetzt, weil er den Haß und die Eifersucht der Hyäne fürchtete, einer verstoßenen Kreatur der Finsternis, beinahe so furchterregend wie der Allverschlinger.
    Während er die ersten schurrenden Schritte des Tanzes machte, den er einst den Tanz des größeren Hungers genannt hatte, schien !Xabbus Konzentration auf etwas jenseits des Lagers, vielleicht sogar jenseits Anderlands gerichtet zu sein. Renies Verzweiflung hatte sich in ein zähes Gefühl wie von einem schweren, klebrigen Geflecht verwandelt, das sie zermürbte und niederhielt. Das also war aus ihrer wissenschaftlichen Nachforschung geworden, dachte sie – unausgegorene Antworten auf unmögliche Fragen, tanzende Affen, magische Welten an einem endlosen Fluß. Und sie wollten irgendwie diese unermeßliche Sandwüste nach dem einen Korn durchsieben, das ihren Bruder zurückbringen würde?
    !Xabbus Tanz, eine pulsende, rhythmische Bewegung, führte ihn nach und nach im ganzen Kreis herum, den er gezeichnet hatte. Ein paar Vogelrufe belebten den Tagesanbruch, und die Urwaldbäume rauschten und zitterten in der Brise, doch das einzige, was sich im Lager bewegte, war der Pavian mit seinem Schritt, Schurren, Schurren, Schritt, wozu er sich hinunterbeugte und sich dann mit hoch und weit ausgestreckten Armen aufrichtete, die Augen immer nach außen gewandt. Er vollendete den Kreis und tanzte weiter, mal ein bißchen schneller, dann wieder langsamer.
    Die Zeit kroch dahin. Aus einem Dutzend Umkreisungen wurden hundert. Emilys Augen waren längst schon zitternd zugefallen, und Renie war vor Müdigkeit halb hypnotisiert, aber !Xabbu tanzte immer noch, bewegte sich zu einer Musik, die er allein hören konnte, führte Schritte aus, die schon unausdenklich alt gewesen waren, als Renies primitive Vorfahren erstmals in das südliche Afrika vorgedrungen waren. Es war die Steinzeit, die sie da betrachtete, das lebendige Gedächtnis der Menschheit, hier im modernsten Kontext, den man sich vorstellen konnte. !Xabbu brachte sich in Einklang, erkannte sie, und zwar nicht mit dem materiellen Universum, mit Sonne, Mond und Sternen, sondern mit dem größeren sinngebenden Kosmos. Er lernte seine eigene Geschichte neu.
    Und je länger der Tanz andauerte und es im Dschungel hell und heller wurde, desto mehr fühlte Renie, wie die kalte Hoffnungslosigkeit in ihr ein klein wenig taute. Es war die Geschichte, worauf es ankam, das hatte er ihr sagen wollen. Das Stachelschwein, der Mantis – sie waren nicht bloß kuriose Märchengestalten, sondern bestimmte Sichtweisen. Sie bildeten eine Geschichte, die dem Leben Ordnung verlieh, die das Universum so zur Sprache brachte, daß Menschen es verstehen konnten. Und was war alles menschliche Lernen und Glauben anderes als schlicht das? Sie konnte sich vom Chaos auffressen lassen, begriff sie, so wie der Allverschlinger alles gefressen hatte, sogar Großvater Mantis, den Geist des ursprünglichen Wissens, oder sie konnte das Chaos in eine ihr verständliche Gestalt bringen, wie die Stachelschweinfrau es getan hatte, und dort Ordnung finden, wo es nur Hoffnungslosigkeit zu geben schien. Sie mußte ihre eigene Geschichte finden, und sie konnte ihr genau die Gestalt geben, die ihr am besten dünkte.
    Und während sie über diese Dinge nachdachte und der kleine Mann in dem Paviankörper weitertanzte, spürte Renie, wie sie weiter auftaute und warm wurde. Sie beobachtete !Xabbu bei seinen andächtigen Wiederholungen, die schön waren wie eine geschriebene Sprache, komplex und beglückend wie die Bewegung einer Symphonie, und erkannte plötzlich, daß sie ihn liebte.
    Es war ein Schock, aber eigentlich keine Überraschung. Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn liebte wie eine Frau einen Mann – es war schwer, sich über die Antipathie ihrer verschiedenen Kulturen und die eigenartigen Masken, die sie jetzt trugen, zu erheben –, aber sie wußte ohne jeden Zweifel, daß sie noch nie jemanden mehr geliebt hatte und noch nie jemanden genau auf diese Weise geliebt hatte. Seine Affengestalt, die seinen klugen, tapferen Geist umkleidete, aber nicht wahrhaft verbarg, verwandelte sich

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