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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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aus etwas Irritierendem in ein strahlend klares Sinnbild, so stark wie eine Drogenerfahrung, so schwer zu erklären wie ein Traum.
    Ich bin diejenige, die erkennen muß, daß wir alle verbunden sind, dachte sie. Im Traum ist !Xabbu gesagt worden, alle ersten Menschen müßten zusammenkommen, wie damals in der Geschichte über seine Ahnin und die Paviane. »Ich wünschte, es wären Paviane auf diesem Felsen«, hieß es nicht so? Aber die Geschichte handelt eigentlich gar nicht von ihm – sie handelt von mir. Ich bin es, die von der Hyäne verfolgt wird, und !Xabbu hat mir seinen Schutz angeboten, genau wie die »Leute, die auf den Fersen sitzen« ihn seiner Ahnin anboten.
    »Es sind wirklich Paviane auf diesem Felsen«, flüsterte sie still vor sich hin.
    Und kaum hatte sie diese Wahrheit entdeckt, fühlte sie sie in sich brennen. Genau so war es! Sie hatte sich von einem Geschenk abgekehrt, weil sie es nicht für wichtig gehalten hatte, und dabei war ein Geschenk – und ganz besonders das Geschenk der Liebe – tatsächlich das einzig Wichtige, was es gab.
    Sie wollte den kleinen Mann packen, ihn aus seiner Trance reißen und ihm alles klarmachen, was sie gerade erkannt hatte, aber seine Konzentration war so groß wie eh und je, und sie begriff, daß diese Offenbarungen für sie bestimmt waren – !Xabbu suchte seine eigenen. So trat sie statt dessen hinter ihm in den Kreis, zögernden Schrittes zunächst, dann mit wachsendem Zutrauen, bis sie schließlich Seite an Seite tanzten, immer von dem Strich zwischen ihnen getrennt, doch zugleich von dem Kreis selbst verbunden. Er ließ nicht erkennen, ob er merkte, daß sie sich zu ihm gesellt hatte, aber in ihrem Herzen war Renie sich dessen sicher.
    Emily wachte abermals auf, und als sie diesmal ihre beiden Begleiter im Kreis herumstapfen sah, wurden ihre Augen noch größer.
    Und während sie tanzten, wurde es Tag und ergriff der Morgen vom Dschungel Besitz.
     
    Aus der Stille eine Geschichte. Aus dem Chaos Ordnung. Aus dem Nichts Liebe…
    Renie war lange Zeit in einer Art Trance gewesen, und erst als sie vor Erschöpfung zu stolpern begann, nahm sie die Welt um sich herum wieder wahr. Es war ein beunruhigender Übergang: Sie war irgendwo anders gewesen und wußte in einer unerklärlichen Weise, was !Xabbu mit den »Augen des Herzens« gemeint hatte. Er selbst tanzte immer noch, aber langsamer jetzt, sehr bedächtig, als näherte er sich einer Erkenntnis.
    Etwas anderes regte sich am Rand ihres Gesichtsfeldes. Als Renie sich umwandte, sah sie Emily sich ducken wie ein verängstigtes Tier und mit der Hand fuchteln, als wollte sie etwas vertreiben. Zuerst dachte Renie, sie und !Xabbu so lange und so unbeirrt tanzen zu sehen, hätte das Mädchen kopfscheu gemacht. Da sah sie ungefähr fünf Meter entfernt ein Gesicht aus dem Unterholz spähen.
    Renie stolperte abermals, doch zwang sie sich vorsichtshalber weiterzutanzen, obwohl sie nicht mehr mit dem Herzen bei der Sache war. Sie beäugte den Spion, so gut sie konnte, ohne allzu offensichtlich zu gaffen. Es war eines der zusammengeflickten Greuelwesen, die sie vorher beim Trinken am Fluß aufgestört hatten. Das Gesicht sah menschlich aus, aber nur ungefähr. Die Nase machte den Anschein, etwas anderes zu sein, das nur zufällig in der Mitte des Gesichts gelandet war – ehemals vielleicht ein Zeh oder ein Daumen; die Ohren des Geschöpfes wuchsen aus dem Hals, wodurch der kahle Schädel wie ein Rammbock erschien. Aber trotz dieser gräßlichen Abnormitäten machte das Wesen keinen gefährlichen Eindruck. Die kuhartigen Augen beobachteten !Xabbus Tanz mit einer Sehnsucht, die beinahe mitleiderregend war.
    Aber das hat nichts zu besagen. Renies erleuchtende Trance war zerbrochen, ihr innerer Alarm schrillte. Diese Kreaturen sind umgemodelt worden: Ausdruck, Körpersprache, all diesen Dingen kann man nicht mehr trauen.
    Sie verlangsamte ihre Tanzbewegungen auf möglichst unauffällige Weise und trat dann aus dem Kreis, als ob sie endlich müde geworden wäre. Das war auch nicht ganz gelogen – sie keuchte und war naßgeschwitzt. Sie wischte sich die Stirn und blickte dabei wieder verstohlen hinüber. Ein zweites Gesicht war neben dem ersten aufgetaucht, und bei diesem saßen die Augen zu tief in den Backen. Ein drittes mißgebildetes Antlitz folgte, dann ein viertes, und alle drängten sich jetzt im Gebüsch zusammen, um den Pavian tanzen zu sehen.
    Emily war auf Hände und Knie gefallen und preßte ihr Gesicht auf die

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