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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sauste voraus, doch die Gasse endete an einem Kanal; der einzig mögliche Weg führte über eine katzenbuckelartig gewölbte Brücke, die an beiden Enden von Laternen beleuchtet war. Wenn sie hinübergingen, würden die Soldaten sie zweifellos erspähen, aber in der engen Gasse gab es keine Versteckmöglichkeit – der bewaffnete Trupp füllte sie von Hauswand zu Hauswand aus. Gally überlegte nur einen Moment, dann schwang er sich über die Mauer neben der Brücke. Paul war froh, daß er hingeschaut hatte, denn wenn nicht, hätte er geglaubt, der Erdboden habe den Jungen verschluckt. Er kletterte hinter ihm her über die niedrige Brüstung. Das Trampeln der Stiefel und die Stimmen der Männer waren so laut und so nahe, daß sie nur durch ein Wunder noch nicht entdeckt worden waren.
    Der Raum unter der Brücke, der sich ihnen bot, war vielleicht einen Meter hoch und halb so breit, bevor die Stehfläche vor ihnen steil in den Kanal abfiel, der zu tief unten lag, als daß sie ohne lautes Platschen hätten eintauchen können. Daß das Wasser außerdem stank, da es auch als Kloake der durchlauchtigsten Republik dienen mußte, war noch ihre geringste Sorge. Sie duckten sich, Paul mit dem Kopf schmerzhaft gegen die Unterseite der Steinbrücke gepreßt, und lauschten, wie oben die Soldaten darüber hinwegstapften. Auf einmal brachen zu ihrem Entsetzen die Schritte ab. Paul hielt die Luft an. Er konnte den Jungen im Schatten kaum erkennen, aber an der angespannten Stille merkte er, daß auch Gally nicht zu atmen wagte.
    Etwas pladderte eine Armlänge entfernt neben ihnen ins Wasser. Paul mußte sich zusammenreißen, um nicht heftig zurückzuzucken. Während der erste Strahl noch in den Kanal spritzte, ging gleich daneben ein zweiter nieder. Der Geruch von Urin stieg ihnen in die Nase.
    »… wollte ’nen Senator umbringen«, sagte jemand über ihnen. Sein Gefährte murmelte etwas, und beide lachten; die Bögen der Strahlen verwackelten, und der Rhythmus des Plätscherns änderte sich. »Nein, würde ich auch«, sagte der erste, »aber das wollen wir lieber niemand hören lassen, was? Oder willst du etwa mit der Folterkammer Bekanntschaft machen?«
    »Heilige Mutter Gottes«, schrie eine Stimme vom anderen Ende der Brücke, »was treibt ihr beiden da – rumturteln? Beeilt euch, wir sollen zwei Attentäter fassen.«
    »Hast du gehört, daß einer davon ein Junge ist, ein Straßenbengel?« fragte der erste Mann. Sein Strahl tröpfelte aus und hörte auf. »Man sollte diese kleinen Hafenratten zusammentreiben und in siedendem Öl kochen, sag ich dir.« Sein Gefährte beendete ebenfalls sein Geschäft, aber seine Worte waren immer noch nicht zu verstehen. »Ja«, erwiderte der erste, »aber wenigstens werden wir mit dem unsern Spaß haben, wenn wir ihn schnappen.«
    Paul hielt es für ausgeschlossen, daß diese Soldaten auf normalem Wege so rasch davon erfahren haben konnten – es war erst eine Viertelstunde her, daß er und Gally aus dem Dom geflohen waren. Irgendwie hatten Finch und Mullett die Simwelt manipuliert und Informationen schneller in der Stadt verbreitet, als Renaissanceverhältnisse es eigentlich zuließen. Obwohl er einsah, daß es lächerlich war, war Paul über den unfairen Trick entrüstet.
    Die Soldaten trampelten zum anderen Ende der Brücke hinunter. Gally legte Paul die Hand auf den Arm, um ihn zu ermahnen, noch einen Moment ruhig abzuwarten. Die Stimmen und Schritte der Soldaten wurden leise, dann waren sie verklungen. Die Sekunden zogen sich hin. Alles war still bis auf das fast unhörbare Schwappen des Wassers gegen die Mauer.
    »Ich … ich kann mich an nichts erinnern, was vor dem Schwarzen Ozean war«, flüsterte Gally auf einmal unsichtbar aus dem Dunkel.
    Paul, der nur ans Fliehen dachte, konnte im ersten Augenblick mit der Bemerkung nichts anfangen. »Vor dem …?«
    Der Junge sprach mühsam, als preßte ihm etwas die Kehle zu. »Korfu, das alles – ich hab eigentlich gar keine Erinnerungen daran. Ich weiß es einfach. Aber langsam erinnere ich mich an andere Sachen – das Austernhaus, wie du sagtest, und daß ich mit Bay und Blue und den andern rumgezogen bin. Ich … ich glaube, ich hatte sogar am Anfang ’nen andern Namen, bevor ich Gally hieß. Aber ich kann mich an nichts aus der Zeit erinnern, bevor wir aus dem Schwarzen Ozean kamen.« Seine Stimme brach. Er weinte. »Ich kann mich nicht an meine Mutter oder meinen Vater erinnern … an … gar nichts.«
    Selbst inmitten der Gefahr

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