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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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machen wir.«
    »Da durch ist es ziemlich dunkel«, sagte Gally zweifelnd. »Und halt auch ziemlich wüst. Wenn wir in Castello abgemurkst werden, dann wahrscheinlich nicht von den Soldaten des Dogen.«
    »Das müssen wir riskieren – alles ist besser, als in die Hände dieser beiden … Monster zu fallen.«
    Gally schlug einen flotten Laufschritt an, und Paul hängte sich an seine Fersen. Der Junge folgte dem kleinen Kanal in östlicher Richtung, bis dieser nach Norden abbog, und eilte dann auf einer Brücke über den Kanal, der hinter dem Dogenpalast und dem Markusdom vorbeifloß. Ein paar Leute strebten immer noch dem dicksten Karnevalstreiben auf dem Platz und am Canal Grande zu, aber der Junge hatte recht gehabt – die Straßen in diesem Teil der Stadt waren leerer und dunkler, nur hin und wieder von einer Lampe in einem Fenster schwach erhellt. In den schmalen, kopfsteingepflasterten Seitengäßchen trauten sie sich kaum, tief zu atmen, denn die Häuser hingen auf beiden Seiten so weit über, daß sie über ihnen einzustürzen drohten. Nur vereinzelte leise Stimmen und Essensgerüche deuteten auf das Leben hin, das sich hinter den Mauern abspielte, aber die Fronten der Häuser waren so unergründlich wie Masken.
    Während Paul sich mühte, mit dem Jungen Schritt zu halten, der sich mit katzenhafter Sicherheit durch die Gassen und an den Kanälen entlang bewegte, war er innerlich damit beschäftigt, aus den Ereignissen schlau zu werden. Diese beiden Kreaturen, Finch und Mullett, wie etwas in ihm sie immer noch nennen wollte, obwohl seine Erinnerung an diese Inkarnationen düster war, waren ihm von einer Welt zur anderen gefolgt – nein, von einer Simulation zur nächsten. Aber sie wußten offensichtlich nicht, wo er sich in der jeweiligen Simulation gerade befand, und auch ihn ausfindig zu machen – visuellen Kontakt herzustellen –, reichte ihnen allein nicht aus, um ihn festzunehmen.
    Was hatte das zu bedeuten? Zum einen dies, daß ihre Kräfte, auch wenn sie als Diener der Gralsbruderschaft handelten, nicht grenzenlos waren. Soviel war klar.
    Im Grunde scheinen diese Gralsleute allen andern in diesen Simulationen nicht viel voraus zu haben, überlegte er. Ansonsten hätten sie mich vor langem schon aufspüren können: Einmal das Netzwerk gründlich durchsucht, und sie hätten mich gehabt, wie eine verlorengegangene Datei.
    Das war doch einmal ein Hoffnungsschimmer. Die Anführer der Bruderschaft mochten entsetzlich reich und grausam sein – in gewisser Weise Götter –, aber selbst innerhalb ihrer eigenen Schöpfung waren sie nicht allmächtig. Man konnte sie überlisten, sich ihnen entziehen. Das war mehr als bloß eine beiläufige Anekdote, begriff er: Wenn das stimmte, war es eine sehr wichtige Erkenntnis.
    Er lief einfach automatisch vor sich hin, fast ohne seine Umgebung wahrzunehmen, als Gally auf einmal so abrupt stehenblieb, daß Paul ihn beinahe über den Haufen gerannt hätte. Der Junge bedeutete ihm mit wild fuchtelnden Armen, leise zu sein. Zunächst begriff er nicht, warum sie angehalten hatten. Sie befanden sich ein paar hundert Meter östlich des Palastkanals und waren gerade in eine Straße eingebogen, die für venezianische Verhältnisse ziemlich breit war, wenn auch still und nur wenig erhellt von einer einzelnen Laterne, die ganz weit hinten über einer Tür hing. Ein dicker Bodennebel gab den Häusern den Anschein zu schweben, so als ob Paul und der Junge sich mitten auf einem der Kanäle befänden statt auf einer gepflasterten Straße.
    »Was…?«
    Gally schlug ihm auf den Arm zum Zeichen, daß er schweigen solle. Gleich darauf hörte Paul erst ein undeutliches Stimmengemurmel, dann erschienen plötzlich mehrere verzerrte Schatten zwischen ihnen und der Laterne, Gestalten, die mit ruhiger Entschlossenheit in Zweierreihen marschierten.
    »Soldaten!« zischte Paul. »In der Mitte muß es eine Seitenstraße geben.«
    Gally zog ihn am Arm in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Als sie das Ende der Straße erreichten, zögerte der Junge kurz und huschte dann in eine Gasse, um die Soldaten vorbeigehen zu lassen, doch statt ihren Weg Richtung San Marco fortzusetzen, schwenkte der kleine Trupp, wie magnetisch von den Fliehenden angezogen, in die Gasse ein. Paul fluchte im stillen. Die Chancen standen extrem schlecht – mindestens ein Dutzend Soldaten mit Helmen, Brustharnischen und geschulterten Piken kamen auf sie zu und wirbelten mit ihren Stiefeln den Dunst auf.
    Gally

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