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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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wollte ich das ja. So blieb ich wieder einmal mit der Frage sitzen, in was für eine Gruppe von Psychopathen ich bloß geraten war.
    Wenn eine Blinde, die mehrere Tage lang völlig verstört und von Sinnen war, diese Frage stellt, kann sich jeder ausrechnen, daß es um so eine Gruppe schlecht steht.«
     
    »Baut-ein-Feuer-auf-Luft und andere Mitglieder des Rotenfelsstammes, die ich nicht erkannte – die meisten Familien schienen vertreten zu sein –, kamen uns kurz vor Sonnenuntergang holen. Wir wurden zum Fuß eines gewaltigen horizontalen Baumes gebracht, auf dem drei der ältesten Männer des Stammes saßen. Der Vater des vermißten Mädchens sprach erregt über ihre Entführung. Ihr Halsband, das sie immer umgehabt hatte, war nahe dem Ausgang der Familienhöhle gefunden worden, was darauf hinzudeuten schien, daß Glänzt-wie-Schnee nicht freiwillig mitgegangen war. Andere Familien gaben an, nichts gesehen und nichts gehört zu haben, und bemerkten, wie lange es her sei, daß andere Stämme aus dem Tal Überfälle gemacht hätten. Als Florimel für uns das Recht forderte, Fragen zu stellen und uns zu verteidigen, wurde das abgelehnt. Der gebrechlichste der drei Ältesten, ein derart eingefallener Mann, daß er nicht nur hohle Knochen zu haben, sondern überhaupt hohl zu sein schien, beschied uns höflich, aber bestimmt, wir seien Fremde, und daher könne man keinem unserer Worte trauen. Und wenn man uns erlaube, Zeugen zu befragen, meinte er, könnten wir die Gelegenheit nutzen und die Befragten verzaubern.
    Somit fällten unsere Richter den von vornherein feststehenden Spruch – ein Gottesurteil solle entscheiden, ob wir die Wahrheit sagten. Man werde uns, verkündeten sie höchst feierlich, an die sogenannte Stätte der Verlorenen bringen.
    Der Name klang uns allen nicht sehr verheißungsvoll. Ich merkte, daß unter anderen Umständen Florimel oder T4b wohl dafür gewesen wären, einen gewaltsamen Fluchtversuch zu unternehmen, aber wir waren den anderen hundertfach unterlegen, und der lange Tag in Haft hatte unsere Entschlossenheit geschwächt. Wir ließen zu, daß man uns packte – weniger grob, als wir erwartet hatten, denn das Volk der mittleren Lüfte war wohl im Grunde gutmütig – und im abnehmenden Licht des Tages abführte.
    Obwohl Gefangene und Bewacher zu Fuß gehen mußten, war der Zug zum Schauplatz des Gottesurteils dennoch eine regelrechte Luftparade, da Unmengen von Schaulustigen unmittelbar hinter uns herflogen wie Möwen hinter einem Müllkahn. Wir mußten fast eine Stunde marschieren und am Schluß zu einer mehrere hundert Meter breiten Senke in der Felswand emporsteigen, einem natürlichen Amphitheater, wo künftige Aerodromier in tausend Generationen oder so vielleicht eines Tages Symphoniekonzerte hören werden. Dieses wahrscheinlich von einem Gletscher ausgehöhlte Becken war leer bis auf eine Schutthalde, die den größten Teil des Grundes bedeckte, und einen einzelnen großen runden Felsen in der Mitte, der für meine Wahrnehmung wie ein unheimlicher Opferaltar wirkte.
    Ich malte mir aus, man werde unsere virtuellen Körper irgendeiner ausgesuchten Marter unterziehen, und erst jetzt kam mir die Wahrscheinlichkeit von Folter und Tod richtig zu Bewußtsein. Ich begann zu schwitzen, obwohl die Abendbrise kühl und angenehm war. Ein jäher und aberwitzig erschreckender Gedanke kam mir: Wenn sie nun meinen Augen etwas taten? Obwohl sie die nutzlosesten Organe in meinem Körper waren, und obendrein virtuell, erfüllte mich der Gedanke, sie könnten sich daran vergreifen, dennoch mit einem solchen Grauen, daß ich mich im Griff meiner beiden Bewacher wand und gestürzt wäre, wenn sie mich nicht gehalten hätten.
    Zwanzig oder dreißig der jüngeren und stärkeren Männer schwebten auf den Platz neben dem Stein. Sie stemmten sich ächzend und sogar vor Anstrengung schreiend mit den Schultern dagegen, bis sie den Stein schließlich ein oder zwei Meter zur Seite geruckelt hatten. Darunter kam ein schwarzes Loch zutage, in das wir einer nach dem anderen gestoßen wurden. Sweet William war als erster dran, und er bewahrte eine erstaunliche Haltung. Als ich an die Reihe kam, machte ich mich so klein wie möglich. Kaum war ich durch die Öffnung gefallen, breitete ich meine Arme aus und schwebte. Ich war mir nicht sicher gewesen, daß wir in der Höhle noch würden fliegen können, doch im Innern gab es seltsame Aufwinde, ziemlich unvorhersehbar zwar, aber stark genug, um uns in der Luft zu

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