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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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hinzu.
    Der einheitliche Chor der Verlorenen war wieder fast völlig zerfallen, aber mein Gefühl, daß gleich etwas Schreckliches geschehen werde, wurde mit jedem Moment stärker.
    ›Nein, ich bin hier!‹ schrie Quan Li. Ich spürte ihre Energiesignatur in unserer Mitte auftauchen. ›William hat mich gestoßen. Geschlagen!‹ Sie war extrem aufgewühlt. ›Ich glaube, er wollte mich umbringen.‹
    Meine bösen Ahnungen von vorher bestätigten sich also. William mochte sein, was er wollte, er verbarg auf jeden Fall ein Geheimnis. Vielleicht hatte er sich wirklich an dem Mädchen des Stammes vergangen. ›Er ist geflohen, weil er nicht wollte, daß die Verlorenen seinen Namen nennen‹, erklärte ich. ›Ich habe mich ablenken lassen – und dabei bin ich die einzige, die ihn hätte fliehen sehen können!‹
    Bevor einer der anderen etwas erwidern konnte, vereinigten sich mehrere unterschiedliche Stimmen aus dem allgemeinen Gezeter zu einer einzigen Stimme, die zwar nicht die des Ganzen war, aber dennoch ungemein dringlich klang. ›Der Eine, der Anders ist‹, schrien sie voll ängstlich-freudiger Überraschung. ›Der Andere kommt!‹
    Auf einmal fiel die Temperatur in der großen Höhle, und etwas war da – das heißt, es war überall. Der gesamte Informationsfluß stotterte und kam kurz zum Stillstand. Ich fühlte, wie das schreckliche Etwas nahe herankam, dasselbe furchtbare Wesen, das mich beinahe zermalmt hatte, als wir in das Netzwerk eingetreten waren. Ich konnte nichts machen – eine animalische Panik schoß durch mein ganzes Nervensystem. Ich schaffte es gerade noch, Florimel zu fassen, ehe ich ›Flieht! Flieht!‹ schreiend losstürmte. Florimel klammerte sich an mich, da für sie ringsumher alles vollkommen finster war. Auf ihre Hilfeschreie hin hielten sich die anderen ihrerseits an ihr fest, während ich kopflos davonraste und mich jetzt loszureißen versuchte. Zu meiner Schande muß ich sagen, daß es mir vollkommen gleichgültig war, ob die anderen gegen Hindernisse knallten und sich Abschürfungen und Prellungen holten, um mit mir in Kontakt zu bleiben – mein Grauen vor diesem Andern war einfach zu groß. Um mich zu retten, hätte ich ihm meine Eltern vorgeworfen, meine Freunde. Ich glaube, ich hätte mein Kind geopfert, wenn ich eines gehabt hätte.
    Ich fühlte, wie er sich hinter uns im Raum ausbreitete wie eine Supernova aus Eis, wie ein gewaltiger Schatten, unter dem nichts wachsen kann. Tastende Gedankenfühler streckten sich nach mir aus, und wenn er mich wirklich hätte fassen wollen, soviel weiß ich jetzt, wäre jede körperliche Flucht zwecklos gewesen. Aber ich hatte in dem Augenblick keinen anderen Gedanken im Kopf als Fliehen, Fliehen, Fliehen.
    Irgendwie gelang es den anderen, mir zu folgen, obwohl sie dafür einiges einstecken mußten. Wie verwundete Fledermäuse prallten wir aneinander und an die steinernen Höhlenwände, stürzten und purzelten durch die Dunkelheit, um der zunehmenden Kälte hinter uns zu entkommen. Eingesperrt in den sich endlos verzweigenden Gängen waren wir in der Stätte der Verlorenen nicht minder verloren wie diese, in jeder Hinsicht.
    Wir gelangten in einen weiteren großen Hohlraum im Dunkeln. Einen Moment lang drehte ich mich auf der Stelle und fuchtelte in blinder Panik mit den Armen. Das Chaos der Stimmen und das lähmende Grauen des Andern waren etwas geringer, aber einen Ausweg aus den Katakomben gab es auch hier nicht. Die Informationen der Höhle umschwirrten mich als ein sinnloser Wust, den ich mir erst hätte deuten müssen, und ich mußte meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um meine jagenden Gedanken zu bremsen und mich der Frage zu stellen, wo wir waren, was wir tun konnten.
    Nacheinander haschend wie ertrinkende Schwimmer rempelten mich die eintreffenden anderen beinahe über den Haufen. Ich brachte sie mit einem scharfen, zitternden Schrei zum Schweigen, denn ich mußte mich dringend konzentrieren. In meinem verängstigten Zustand wurde ich aus den verschachtelten Informationshierarchien um mich nicht schlau – ich nahm nur Tunnel und Löcher wahr, und jedes Loch schien in ein anderes zu zerfließen, ein einziges strudelndes, nirgendwo hinführendes Nichts. Ich hielt mir mit beiden Händen den Kopf, versuchte den Tumult der Erinnerungen auszuschalten, das dumpfe Echo der Stimme der Verlorenen, aber das Bild blieb trübe. Wo war mein klarer Verstand? Was passierte mit mir?
    Und winzig klein, aber selbst durch die Furcht vor dem

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