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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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mußte. Daß dies genau die Sache war, die er am wenigsten tun wollte, machte es nur noch entscheidender, daß er keine Zeit mehr mit Grübeleien vertat.
    Er rüttelte Fredericks wach.
    »Was? Was?«
    »Mach schon. Folg mir.« Er kletterte aus der flachen Kuhle und richtete sich auf. Sämtliche Gelenke brannten wie Feuer, und der Atem glühte in seinen Lungen, aber er konnte es sich auch nicht leisten, über diese Dinge nachzudenken. »Komm mit.«
    »Wo gehen wir hin?«
    »Komm einfach mit. Komm …«
    Fredericks beäugte Orlandos erste humpelnde Schritte mit einem verblüfften Ausdruck in seinem verschlafenen Gesicht, der rasch in Entsetzen umschlug. »Was machst du? Das … das Ding ist da drüben.«
    »Das Ding ist überall.«
    »Orlando! Komm zurück!«
    Er achtete nicht auf seinen Freund und ging weiter. Wenn er sich etwas überhaupt nicht leisten konnte, dann auf die Stimme der Vernunft zu horchen.
    »Gardiner, du machst mir Angst! Hat dich der ultravollste Scänblaff erwischt oder was? Orlando! Komm zurück!«
    Einen Fuß vor den anderen – links, rechts, links. Er fühlte das gräßliche magnetische Ziehen des Tempels, und plötzlich bestand die Anstrengung nicht mehr darin, vorwärtszuschleichen, sondern in der Willensaufbietung, die es kostete, nicht darauf zuzurennen. Etwas hatte ihn jetzt im Griff, in einem derart mächtigen Griff, daß er sich, wenn ihm die Beine abgefallen wären, allein mit den Armen weiter vorwärtsgerobbt hätte. Dieses Etwas ging vor ihm auf wie eine giftige Blume, die ein kleines Krabbeltier mit einer stimmlosen, formlosen, aber unwiderstehlichen Einladung anlockte. Es wollte ihn. Es wollte sein Leben.
    »Gardiner!«
    Fredericks’ Ruf klang ziemlich weit weg. Der Teil von Orlandos Gehirn, der ihm noch gehörte, empfand Trauer; er wußte, daß sein Freund zögerte und zwischen Orlando und seiner eigenen Sicherheit hin- und hergerissen war. Einen Moment später hörte er Fredericks’ Schritte hinter sich im Sand knirschen und wußte, daß sein Freund eine Entscheidung getroffen hatte. Wenn Orlando sich irrte oder die Frau mit der Feder sich geirrt hatte, dann war Orlando jetzt dabei, sie beide ins Verderben zu führen.
    Aber was hatte sie gesagt? »Du wirst mein Zeichen sehen« – was sollte das heißen? Was für eine Hilfe konnte sie ihm geben?
    Er hatte inzwischen die Hügelkuppe überschritten und stakste mit der täppischen Unbeirrtheit eines funktionsgestörten Spielzeugs hastig bergab. Zweimal stürzte er und überschlug sich, doch die Kraft, die ihn in ihrer Gewalt hatte, gestattete es ihm nicht zu prüfen, ob er sich verletzt hatte; sie riß ihn wieder auf die Füße und zog ihn weiter.
    Fredericks hatte aufgehört zu rufen, aber Orlando konnte das rauhe, ängstliche Schnaufen seines Freundes dicht hinter sich vernehmen. Sie stolperten und krochen von dem Sandhügel hinunter auf die Talsohle. Der Tempel vor ihnen war gleichzeitig gedrungen und hoch aufragend, die Säulenzähne grinsten breit in Erwartung des kommenden Mahles. Orlando spürte, daß das hinter diesem Totenkopfgrinsen lebende Wesen schlief oder sonstwie teilweise abwesend war, doch als ob er ein Floh auf dem zuckenden Rücken eines sich eben zu regen beginnenden Hundes wäre, fühlte er auch, wie die ungeheure Macht langsam dem Erwachen entgegenstrebte. Er taumelte unter dem Gewicht dieser furchtbaren Empfindung und fiel hin, doch der Zug ließ nicht nach. Er konnte sich nicht einmal die Zeit zum Aufstehen nehmen, sondern mußte über den holperigen Boden vorwärtskrabbeln.
    Der Sand auf der Talsohle bildete teilweise harte Klumpen und Grate, als ob eine extreme Hitze ihn zu rohem Glas umgeschmolzen hätte. Zerbröckelte Felsbrocken und scharfe Steinsplitter, wahrscheinlich von den fernen Bergen, lagen überall um den Tempel herum. Die kleineren Steine rissen ihm Knie und Hände auf, so daß Orlando jetzt beim Ausatmen ein ununterbrochenes Gewimmer von sich gab. Fredericks hinter ihm jammerte ebenfalls. Orlando versuchte, über die Stellen zu kriechen, wo der Sand noch locker und körnig war, aber der zwingende Zug ließ das nicht immer zu.
    Die Schmerzen waren so stark, daß ihm die andersartige Oberfläche des Gegenstandes gar nicht auffiel, als er die Hände darauf legte. Er sah den Talboden nur noch ganz verschwommen und mit schwarzen Flecken, und so hielt er einen Moment an, um Luft in seine wunden Lungen zu saugen, und hustete dann, bis er das Gefühl hatte, ohnmächtig zu werden. Hechelnd ließ er den

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