Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
Ringen darum, dem Zug des Tales zu widerstehen.
    »Sowas … sowas Furchtbares«, krächzte Fredericks schließlich mit trockener Kehle, in der ihm fast die Worte steckenblieben. »Noch schlimmer … a-als das Gefrierfach. Ach Gott, Orlando, ich will … Ach, bitte, Gott, ich will nach Hause.«
    Orlando erwiderte nichts; er wußte, daß er jedes Fünkchen Kraft brauchen würde, denn er wollte etwas versuchen. Er blickte auf seinen Fuß, dann stemmte er sich gegen die zwingende Gewalt des Tempels an und beobachtete, wie sein Fuß sich langsam vom Sand abhob. Er war weit, weit weg und beobachtete durch ein starkes Teleskop einen Vorgang auf einem fernen Planeten, und es bedurfte seiner ganzen Willenskraft, diesen Fuß (der nur sehr vage ihm zu gehören schien) weiter zu bewegen. Er drehte ihn ein wenig zur Seite und setzte ihn wieder auf. Er hob den anderen und tat damit das gleiche, eine Präzisionsarbeit auf große Distanz. Jede Sekunde, die er sich der schwarzen Anziehungskraft des Tales widersetzte, war unglaublich zermürbend.
    Während er sich zentimeterweise von dem Tempel entfernte, streckte er einen zementschweren Arm nach Fredericks aus, und als er seinen Freund berührte, sprang ein klein wenig Energie über, ein Lebensfunke. Das Gesicht zu einer Grimasse qualvoller, banger Konzentration verzerrt, setzte auch Fredericks zu einer langsamen Drehung an, Grad für Grad eine übermächtige Anstrengung. Als sie sich so weit abgewandt hatten, daß der Tempel endlich nicht mehr sichtbar, wenn auch durchaus noch wahrnehmbar war – sie spürten ihn am Ende jedes einzelnen ihrer flatternden Nerven –, nahm der Druck ein klein wenig ab. Orlando war sogar in der Lage, einen ersten richtigen Schritt vom Tal weg zu tun, obwohl ihm die Muskeln zitterten und der Schweiß aus sämtlichen Poren lief.
    Er wankte ein paar Meter weiter, und jeder Schritt war eine Qual, als ob er sich von einer grauenhaften Pflanze mit vielen Fangarmen losmachte, die mit ihren Fasern bis in seine Zellen gedrungen war. Als vielleicht der halbe Abhang zwischen ihm und der Kuppe mit dem Blick auf den Tempel lag, fühlte er, wie die Zugrichtung sich langsam verschob, als ob der ganze gewaltige Komplex und sein entsetzliches Magnetfeld frei im Raum schwebten. In diesem Augenblick war der Zug nach hinten und nach vorn plötzlich ausgeglichen, doch er wußte, wenn er jetzt weiterging, ganz gleich in welche Richtung, hatte er das Tempeltal und seinen namenlosen Bewohner in kürzester Zeit wieder vor sich. Völlig kaputt, aber aus Reserven schöpfend, von deren Existenz er gar nichts gewußt hatte, sank er nieder und fing an zu wühlen.
    Fredericks holte ihn ein, ließ sich in den Sand plumpsen und scharrte seinerseits in der unbeholfenen Art eines Tieres, das einen Blitzschlag überlebt hatte. Als sie sich einen halben Meter tief eine flache Grube im Sand gebuddelt hatten, ließ sich Orlando hineinrollen. Fredericks kam hinterhergekrochen, und eine ganze Weile lagen sie einfach zusammengeknäuelt und keuchend da.
    »Wir kommen nie um das Ding rum.« Fredericks’ Stimme klang gequetscht, als ob sein Brustkasten eingedrückt worden wäre. »Es wird uns an sich ziehen. Es wird uns kriegen.«
    Orlando gab keine Antwort. Es hatte ihn schon seine ganze Kraft gekostet, den Magnetismus einen Moment zu durchbrechen und ihnen diese kurze Verschnaufpause zu verschaffen. Fredericks hatte recht, aber Orlando konnte einfach nicht mehr darüber nachdenken. Die Erschöpfung zwang ihn genauso unerbittlich nieder, wie der Tempel es getan hatte, aber diesmal widersetzte er sich nicht.
     
    Es war so grotesk, daß es selbst gegen die Logik der Träume verstieß.
    Die stumpfschwarze Pyramide war so hoch, daß sie keine sichtbare Spitze hatte, und so breit, daß es buchstäblich unmöglich war, in eine andere Richtung zu schauen. Obwohl die auf beiden Seiten gerade noch zu sehenden Streifen des Nachthimmels nur von wenigen blassen Sternen erhellt waren, wirkten sie im Vergleich zu der tiefen Schwärze der Pyramide beinahe leuchtend blau.
    Er wußte, daß er mit dieser Ungeheuerlichkeit nicht allein fertig werden konnte, und rief nach dem Käfer, der in anderen Träumen zu ihm gesprochen hatte, aber er fürchtete sich, die Stimme zu erheben, und obwohl er lange rief, antwortete das Wesen ihm nicht. Aber dafür jemand anders.
    Er kann nicht kommen, dein Diener. Ich fühle ihn hier nicht. Sie sagte es wie eine, die eine traurige Mitteilung überbringt, für die sie sich ein

Weitere Kostenlose Bücher