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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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sind, die Leute, die auf den Fersen sitzen. Auch von ihnen kann man Dinge lernen, Lektionen über Freundschaft und Familie und die Stärke, die daraus erwächst, und wie man mit wachem Verstand und flinken Fingern Probleme löst. Aber ich mußte meine eigene Lektion lernen, Renie. Als ich tanzte, begriff ich, daß ich wieder lernen muß, mit den Augen zu sehen, die mir gegeben wurden, daß ich lernen muß, mit dem Herzen meines Volkes zu schauen – was ich nicht mehr getan habe, seit wir uns hier in dieser… Scheinwelt aufhalten.
    Als der Tanz vorbei war, Renie, war es, als wäre ich nach langen Wochen in finsterer Nacht ans Tageslicht getreten. Was ich nicht alles sehen konnte! Wie soll ich das bloß erklären? Oft meinen deine Leute, die Stadtmenschen, es gäbe eine richtige Art und eine falsche Art zu sehen. Sie hören alte Geschichten, wie mein Volk sie sich erzählt, alte Lieder, und sie sagen: ›Ach, hört nur, sind sie nicht wie Kinder, diese Buschleute? Sie denken, daß es Gesichter am Himmel gibt, sie denken, daß die Sonne klingt.‹ Aber es gibt Gesichter am Himmel, wenn du die Augen hast, sie zu sehen. Die Sonne hat ein Lied, wenn du nur die Ohren hast. Wir haben lediglich unterschiedliche Arten, die Welt zu begreifen, Renie, deine Leute und meine, und ich habe das Wissen, das mir beigebracht wurde, zu lange mißachtet.
    Daher hatte ich, als ich aufhörte zu tanzen und der Zauber des Tanzes mir den Kopf klar gemacht hatte, das Gefühl, daß mir nichts mehr verborgen bleiben könne. Du wirst sagen, daß es das Unterbewußtsein war, daß mir einfach Dinge deutlich wurden, die ich bemerkt, aber nicht verstanden hatte. Wie dem auch sei. Ich weiß, was ich weiß. Und als allererstes erkannte ich, daß mich etwas gestört hatte, aber daß ich es in meiner Unaufmerksamkeit übersehen hatte, verdrängt hatte.
    Es war natürlich das Feuerzeug, aber das wurde mir erst klar, als ich es in deiner Tasche entdeckte. Du fragtest, wie Azador dazu käme, es bei sich zu haben, da doch der Buchstabe darauf weder zu seinem Vor- noch zu seinem Nachnamen paßte. Und Azador selbst hatte erklärt, daß Dinge, die für eine bestimmte Welt gedacht sind, nicht in eine andere mitgenommen werden können – deshalb warst du auch so überrascht darüber, daß Emily mit uns hierhergekommen ist!«
    »Aber das beweist noch gar nichts«, wandte sie ein. »Er könnte es von jemandem in der Kansas-Simwelt gestohlen haben.«
    !Xabbu , dessen Vermutung sich bereits als richtig erwiesen hatte, zuckte nur mit den Achseln.
    »Wart mal«, sagte sie. »Nein, es kann gar nicht aus Kansas stammen, weil es die Kopie eines modernen Feuerzeugs ist – eines von diesen Wasserstoff-Minisolars. Und die ganze Technik in der Kansaswelt war aus dem vorigen Jahrhundert.«
    »Von alledem hatte ich keine Ahnung«, sagte !Xabbu . »Aber als ich es mir nach dem Tanzen anschaute, es mit allen anderen Sachen um uns herum verglich, mit dem Boot, unserer Kleidung, da fühlte es sich realer an. Ich kann es leider nicht besser erklären. Das ist es, was die Augen meines Herzens sahen. Vielleicht könnte ich sagen, es war wie der Unterschied zwischen einer weißen Krickellinie und dem Bild einer Antilope auf einem Felsen. Der Unterschied … im Inhalt, würdest du, glaube ich, sagen, ist sehr, sehr groß. Und als ich das Feuerzeug in der Hand hielt, erkannte ich, daß er noch größer war. Ich könnte es auch so ausdrücken, daß es war, wie wenn man einen der Grabstöcke meines Volkes betrachtet. Du oder irgendein anderer Städter, ihr würdet ein Stück Holz sehen, roh, an einem Ende zugespitzt. Einem Buschmann würde der Stock ebensoviel sagen wie euch ein Gewehr oder ein hochseetüchtiges Schiff, und er würde mit seinem einfachen Sein von allen Arten sprechen, in denen er benutzt werden kann, benutzt worden ist, benutzt werden soll.« Er neigte skeptisch den Kopf. »Drücke ich mich einigermaßen verständlich aus, Renie? Ich bin müde, und das sind schwer zu formulierende Gedanken.«
    »Ich denke schon.« Sie schaute sich nach Emily um, die sich ungewöhnlich still verhielt. In ihrer üblichen selbstbezogenen Art – oder vielleicht in dem dumpfen, tierhaften Bewußtsein, daß sie in ein fremdes Revier geraten war – hatte sich das Mädchen einfach auf dem Unboden zusammengerollt und war eingeschlafen. »Ich bemühe mich zu verstehen, !Xabbu . Du konntest also erkennen, daß das Feuerzeug … anders war.«
    »Ja. Und als ich es anfaßte, es in der Hand hielt,

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