Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
Stück Seife. Nach einer Weile hörte er auf. »Mir ist, als könnte ich es wieder schaffen, Renie, aber ich bin wirklich sehr müde. Ich glaube nicht, daß es der richtige Zeitpunkt ist.«
Sie hatte plötzlich das Bild vor sich, wie er sich vor weniger als einer halben Stunde noch in Krämpfen gewunden hatte und verfluchte sich für ihre Gedankenlosigkeit. »Entschuldige, !Xabbu . Natürlich kann es warten. Du mußt dich ausruhen. Komm her, leg deinen Kopf in meinen Schoß.«
Sie lehnte sich zurück an ein unregelmäßig geformtes Gebilde, das das zerfasernde Aussehen einer VR-Skizze hatte – eher eine Absichtserklärung als eine tatsächliche Gestalt, wobei in diesem Falle die Absicht wohl darin bestand, eines Tages ein Grasbüschel auf diesem potentiellen Berghang darzustellen. Es war nicht furchtbar bequem, aber sie hatte es in letzter Zeit schon wesentlich unbequemer gehabt. !Xabbu kam heran und streckte sich neben ihrem Bein aus, so daß sein Schwanz sie am Kinn kitzelte. Er verschränkte die Arme über ihrem Knie und legte den Kopf darauf, eine eigenartige Mischung aus tierischer und menschlicher Bewegung. Sekunden später schlief er schon.
Renie brauchte ein paar Minuten länger.
Sie wußte nicht, wie lange sie geschlafen hatte, da es an diesem völlig zeitlosen Ort nichts gab, woran man das hätte erkennen können, aber sie hatte das Gefühl, ziemlich tief weggewesen zu sein. Als sie die Augen aufschlug, wußte sie zunächst nicht so recht, was sie vor sich sah, woraus rasch das Gefühl wurde, daß etwas Wichtiges sich von innen nach außen gekehrt hatte.
Ihre erste kohärente Wahrnehmung war, daß der farblose Himmel jetzt eine Farbe hatte. Sie war nicht sehr ausgeprägt, eher als ob der namenlose Ton von vorher zu etwas Ähnlichem wie einem blassen Grau geronnen wäre, aber es war eine Veränderung. Andere Farben hatten sich ebenfalls verändert, so als ob ein globaler Filter eine Idee weiter gerückt wäre und nunmehr die meisten Dinge in der unfertigen Simwelt eine Nuance dunkler und fester darstellte. Aber nicht alle Dinge hatten durch den Wandel an Festigkeit gewonnen: Ein paar andere schienen wieder in Auflösung zu sein, und Formen, die vorher ziemlich deutliche Komponenten der Landschaft gebildet hatten, waren von schattenhaften Versionen ersetzt worden oder gar völlig verschwunden, ins Nichts zurückgesunken. Vielleicht befand sich das ganze Environment in einem langsamen Übergang, dachte sie, und war mitten dabei, etwas anderes zu werden.
Aber was für ein Übergang mochte das sein, wovon wohin? Und warum kam es ihr so langsam vor? Woran hätte sie das messen können? Der totale und schlagartige Kollaps der ganzen Landschaft, als sie Azador und das Schiff verloren hatten, schien die Antwort auf die zweite Frage zu sein. Waren die schnellen Veränderungen dort und die langsamen Veränderungen hier schlicht unterschiedliche Versionen des gleichen Vorgangs? War das Netzwerk am Zusammenbrechen, wie sie vermutet hatte? Oder konnte es sein, daß es sich statt dessen grundlegend umformte?
Von unbeantwortbaren Fragen geplagt hatte sie gerade gemerkt, daß !Xabbus Kopf nicht mehr auf ihrem Knie lag, als sie ihn sprechen hörte.
»Weißt du, Renie, ich bin mit einem Gedanken aufgewacht.« Er hockte ein Stückchen von ihr entfernt und begutachtete abermals Azadors Feuerzeug.
»Hast du gut geschlafen?«
»Ja, danke, das habe ich. Aber ich möchte dir meinen Gedanken mitteilen. Ich habe von diesem Ding gesprochen, als ob es ein Werkzeug wäre, wie ein Grabstock. Aber wenn es nun mehr ist als das?«
»Da komm ich nicht mit.« Renie sah, daß Emily nicht mehr an dem Platz war, wo sie geschlafen hatte, aber da !Xabbu dem keine Beachtung schenkte, ließ sie es auch gut sein. »Mehr als …?«
»Mehr als ein Werkzeug. Wenn es nun ein Name ist? Mein Volk glaubt – und die meisten sogenannten Primitiven glauben das –, daß Namen eine große Macht haben. Wenn man den wahren Namen von etwas kennt, hat man Macht darüber. Nun gut, was ist, wenn dies einem aus der Bruderschaft gehört?«
»Dann könnten wir uns damit frei bewegen, von einer Welt zur andern wechseln«, sagte sie nach kurzem Nachdenken. »Möglicherweise könnten wir sogar bestimmen, wo wir hingehen wollen, statt es einfach dem Zufall zu überlassen.«
»Ja, aber wenn dies einem der Gralsleute gehört, dann können wir es unter Umständen so benutzen, wie der oder die Betreffende es benutzt – vielleicht in der Art eines
Weitere Kostenlose Bücher