Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
reinbringen willst?«
»Nein, nein.« Bis heute war er mit den Ergebnissen des Luftgottprojekts so rückhaltlos zufrieden gewesen, daß sie seine Stimmungsumschwünge fast vergessen hatte, aber jetzt war es mal wieder soweit. Immerhin, sagte sie sich, war er kein Langweiler wie die meisten Männer. »Nein, ich denke an niemand Bestimmtes. Ich will bloß nicht, daß wir beide vor Überarbeitung einen Koller kriegen. Außerdem hast du gesagt, du hättest auch sonst noch jede Menge Arbeit mit… mit diesen Daten.« Sie hätte beinahe Atascos Namen genannt: sie war wirklich müde, erkannte sie. Sie bezweifelte, daß irgend jemand ihre Leitungen anzapfte - Dread selbst hatte ihr ein erstklassiges Abwehrgear geschickt, das sie noch zusätzlich zu ihren eigenen Sicherheitsvorkehrungen benutzte –, aber es wäre dumm, unnötige Risiken einzugehen, und die Ermordung der Atascos machte bestimmt seit Tagen weltweit Schlagzeilen.
»Ich denk drüber nach.« Sein steinerner Blick hielt noch einen Moment an. Dann kam wieder Leben in seine Züge, als ob jemand eine sprudelnde Flüssigkeit in ein leeres Glas gegossen hätte. »Und es gibt noch ein paar Sachen, die wir besprechen müssen …«
»Es ist jemand an der Tür«, sagte die Hausstimme. »Jemand an der Tür.«
Dulcy verdrehte die Augen. »Sprechanlage. Wer ist da?«
»Ich bin’s – Charlie«, kam die Antwort. »Du bist also tatsächlich wieder da!«
»Wer ist das?« Dreads Mienenspiel war wieder auf Null abgestürzt.
»Nur meine Nachbarin von unten.« Sie stand auf, wobei sie eine stille, aber verärgerte Jones vom Schoß wischte. »Sie füttert meine Katze. Ich kann dich zurückrufen, wenn du willst.«
»Ich warte.« Dread kappte die Bildverbindung, und der Wandbildschirm ging aus, aber Dulcy hatte keine Zweifel, daß er mithörte.
Charlies weißblonde Haare waren kunstvoll verdrahtet; die Litzen umkreisten ihren Kopf wie die Elektronenpfade eines Atommodells, so daß der Dulcy zugedachte Kuß eine Handbreit vor deren Wange in der Luft verpuffte. »Mein Gott, Dulcy, wieso bist du nicht braun? Was hast du von einer Reise nach Südamerika, wenn du nicht mal braun wirst?«
»Zuviel zu tun.« Für Charlie, überlegte Dulcy, hätte eine Atomexplosion sicher auch eine gute Seite – die Strahlung hätte einen tollen Bräunungseffekt. »Irgendwelche Probleme mit Jonesie? Sie sieht prima aus.«
»Nein, alles lief total thik-he. Einmal kam deine Mutter vorbei, als ich hier war. Sie ist ein Scherzkeks.«
»O ja, das ist sie, ein Scherzkeks. Immer fröhlich, haha.« Dulcys Gefühle für Ruby O’Meara Mulhearn Epstein Anwin konnten beim besten Willen nicht zärtlich genannt werden, aber andere Leute schienen ihre Mutter immer für eine ganz wunderbare Person zu halten. Dulcy fragte sich, was ihr entging. »Sonst noch was?«
»O Gott, du bist bestimmt erschöpft. Ich bin wirklich bloß hochgekommen, weil ich was gehört hatte und sehen wollte, ob du das bist.« Charlie drehte sich unvermittelt im Kreis, wobei sie ihr silbernes tesselliertes Kleid aufraffte und ihre langen, schlanken Beine zeigte. »Gefällt es dir? Ich hab’s grad neu gekauft.«
»Ganz toll. Tja, nochmals vielen Dank, daß du dich um Jones gekümmert hast.«
»Schon gebongt. Meinst du, du könntest Zig und Zag nächste Woche füttern? Ich hab … ich muß kurz mal verreisen. Du mußt ihnen bloß Salat geben und nach ihrem Wasser gucken.«
Charlie wollte ihr immer weismachen, sie wäre Buchhalterin in einer Kosmetikfirma – eine Lüge, die wohl auf einem Ferienjob als Teenager basierte, vermutete Dulcy. Charlie dachte, Dulcy wüßte nicht, daß sie ein Callgirl war – und ein ziemlich teures obendrein: Ihre quietschige Stimme und ihre Schulmädchenfigur waren für einen bestimmten gut betuchten Kundentyp zweifellos sehr attraktiv. Charlie meinte, es wäre vollkommen geheim, welchem Gewerbe sie nachging, aber Dulcy ließ es sich angelegen sein, alles über ihre Nachbarn herauszufinden, was sie konnte, und auf das Herausfinden von Dingen verstand sich Dulcy.
Charlie hält sich für so verrucht. Sie hat keine Ahnung, daß die gute Bekannte über ihr eine käufliche internationale Terroristin ist. Sie hat die Katze einer professionellen Mörderin gefüttert.
Selbst wenn sie ihn nur sich selbst erzählte, wurde der Witz langsam schal. Hatte sie nicht eben erst beschlossen, eine Zeitlang nicht mehr an Celestino zu denken, damit der Vorfall irgendwann von selbst seinen richtigen Platz im Weltbild der
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