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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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Renies Ohr.
    Zwei Sekunden später erschien Lenore Kwok im Konferenzraum. Sie trug einen feschen ledernen Fliegerhelm und einen dem Aussehen nach neuen Overall.
    Wahrscheinlich ist er wirklich neu, dachte Renie bei sich. Einfach zurückgeschaltet auf die Standardeinstellung. Selbst für eine, die soviel Zeit in Simulationen verbracht hatte wie sie, war es schwer, sich in dieser unglaublich realistischen neuen Welt zurechtzufinden – ach was, ein neues Universum war das, für das in jeder Beziehung andere Regeln galten.
    »Es tut mir wirklich leid«, sagte Lenore, »aber ich habe immer noch niemanden, der euch mit euerm Gear helfen könnte. Viele Leute sind heute gar nicht im Stock – ich glaube, es gibt irgendein Systemproblem. Es geht ziemlich drunter und drüber. Deshalb sind nur diejenigen da, deren Schicht bald zu Ende ist, und die meisten von uns stecken mitten in irgendwas drin.« Sie zog ein entsprechend trauriges Gesicht. »Aber ich dachte mir, ich führe euch trotzdem noch rasch herum. Wenn ihr wollt, könnt ihr dann mit mir und Cullen mitkommen und euch das Biwak der Eciton burchelli angucken. Es ist megaspektakulär und wird euch wahrscheinlich besser gefallen, als hier rumzusitzen.«
    !Xabbu kraxelte auf Renies Schulter, um sich eine bessere Gesprächsposition zu verschaffen. »Was ist das, was ihr euch anschauen wollt?«
    »Ameisen. Kommt mit – sowas habt ihr noch nicht gesehen. Bis zu unserer Rückkehr dürften sie die Systemprobleme ausgebügelt haben, dann wird euch auch jemand helfen können.«
    Renie sah !Xabbu an, der mit seinen schmalen Affenschultern zuckte. »Okay. Aber wir müssen wirklich dringend hier raus, und nicht bloß euretwegen.«
    »Versteh ich völlig.« Lenore nickte ernst. »Ihr habt wahrscheinlich zuhause reichlich zu tun. Es muß der volle Krampf sein, online festzuhängen.«
    »Ja. Der volle Krampf.«
    Lenore wackelte mit den Fingern, und der Konferenzraum verschwand; an seiner Stelle erschien augenblicklich ein riesiges Auditorium mit einer hohen Kuppel. Nur wenige Plätze waren besetzt, und winzige Lichtpunkte schimmerten über einem guten Dutzend anderer, aber ansonsten war der große Saal menschenleer. Auf der Bühne – oder vielmehr über der Bühne – schwebte das größte Insekt, das Renie je gesehen hatte, eine Feldheuschrecke von der Größe eines Düsenflugzeugs.
    »…Das Außenskelett«, führte eine kultivierte körperlose Stimme gerade aus, »hat viele Überlebensvorteile. Die Verdunstung von Flüssigkeiten läßt sich reduzieren, ein eindeutiger Pluspunkt für kleine Tiere, die aufgrund des Verhältnisses von Oberfläche zu Volumen zu Flüssigkeitsverlust neigen, und die Skelettplatten bieten auch reichlich Innenwandflächen für die Muskelbänder…«
    Die Heuschrecke drehte sich langsam im Raum weiter, aber eine ihrer Seiten löste sich und hob sich von ihrem Körper ab, ein animiertes Schnittmodell.
    »Normalerweise wäre das hier für die Erstsemester«, erklärte Lenore, »die Glücklichen, die überhaupt in den Stock hineindürfen. Aber heute ist fast niemand hier, wie schon gesagt.«
    Während diverse Teile der Feldheuschrecke abgingen und manche verschwanden, damit man den von ihnen bedeckten Bereich besser sehen konnte, leuchteten andere Teile zur Veranschaulichung kurz von innen auf.
    »Das Außenskelett selbst wird weitgehend aus der Cuticula gebildet, die von der Epidermis direkt darunter abgeschieden wird, einer Schicht von Epithelzellen, die ihrerseits auf einer Körnerschicht liegt, der sogenannten ›Basalmembran‹.« Verschiedene Lagen in dem freigelegten Panzer erstrahlten und verblaßten wieder. »Die Cuticula selbst dämmt nicht nur äußerst wirksam den Flüssigkeitsverlust ein, sie dient auch zum Schutz des Tieres. Die Cuticula von Insekten hat eine höhere Zugfestigkeit als Aluminium, obwohl sie nur die Hälfte wiegt…«
    !Xabbu blickte ernst zu der rotierenden Heuschrecke empor. »Wie Götter«, murmelte er. »Weißt du noch, wann ich das sagte, Renie? Mit diesen Maschinen können Menschen sich verhalten, als wären sie Götter.«
    »Ziemlich chizz, was?« meinte Lenore. »Ich zeig euch noch ein bißchen was.«
    Mit einem Fingerschnippen verließen sie das Auditorium. Lenores Tour durch den Stock führte sie zur Mensa – wo natürlich, wie sie schnell erklärte, niemand wirklich aß; sie war eine Art Treffpunkt. Hohe Fenster öffneten eine Wand des schönen Raumes nach außen und gaben die Sicht frei auf einen grasbewaldeten Hang

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