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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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und den Rand einer mächtigen Baumwurzel. Der Unterschied zwischen den menschengerecht dimensionierten Gegenständen im Saal und der Sicht aus Insektenperspektive machte Renie leicht schwindlig, wie ein Blick sehr steil nach unten.
    Ihre Führerin versetzte sie kurz in eine ganze Reihe anderer Räume, größtenteils Labore, die kleinere Versionen des Auditoriums waren und in denen virtuelle Objekte und Daten sich in wenigstens drei Dimensionen und mit einer Regenbogenpalette von Farben bearbeiten ließen. Sie zeigte ihnen auch »Ruhepunkte« zum Entspannen und tiefen Nachdenken, die mit der gleichen Sorgfalt gestaltet waren, mit der andernorts vielleicht Haikus gedichtet wurden. Es gab sogar eine Art Museum mit kleinen Darstellungen diverser Anomalien, die man in dem lebenden Labor außerhalb des Stocks entdeckt hatte.
    »Mit am verblüffendsten ist«, sagte Lenore und deutete dabei auf ein im Raum schwebendes vielbeiniges Wesen, das von unsichtbaren Lichtquellen beleuchtet wurde, »daß einige davon überhaupt nicht wie Tiere in der wirklichen Welt aussehen. Manchmal fragen wir uns, ob Kunohara uns zum besten halten will – Cullen ist davon überzeugt –, aber unsere Konzession lautet ausdrücklich auf die exakte Simulation eines zehntausend Quadratmeter großen Ausschnitts wirklichen Geländes mit echten Lebensformen, deshalb weiß ich nicht so recht, ob ich das glauben soll. Schließlich beschäftigt sich Kunohara selber ziemlich ernsthaft mit der Materie. Ich kann mir nicht vorstellen, daß er einfach imaginäre Insekten erfindet und sie in ein Environment setzt, das er mit soviel Sorgfalt pflegt.«
    »Gibt es noch andere Sachen in dieser Simulationswelt, die merkwürdig sind?« fragte !Xabbu .
    »Na ja, manchmal werden Objekte gemeldet, die in überhaupt keine RL-Simulation gehören, und so seltsame Effekte – Brummspannungen in den Basismedien, komische Lichter, örtliche Verzerrungen. Aber natürlich können Entomologen genauso wie andere Menschen müde werden und sich Sachen einbilden, zumal an so einem Ort, der sowieso schon ziemlich erschlagend ist.«
    »Wieso hat dieser Kunohara das alles geschaffen?« erkundigte sich Renie.
    »Das kann ich auch nur vermuten, genau wie du.« Lenore strich sich kurz mit der Hand durchs Haar, und diese überaus menschliche Geste erinnerte Renie paradoxerweise daran, daß sie eine Simulation betrachtete, daß die wirkliche Lenore diesem Wesen, das sie da vor sich hatte, möglicherweise nicht im geringsten ähnlich sah und auf jeden Fall körperlich ganz woanders war. »Ich hab mal irgendwo gelesen, daß Insekten ihn schon als kleinen Jungen total faszinierten – aber das gilt natürlich für die meisten von uns hier. Wobei er im Unterschied zu uns damit das große Geld verdient hat. Hat mit Anfang zwanzig ein paar bombige biomedizinische Patente angemeldet – dieses Cimbexin-Zeug, mit dem sie das Zellwachstum nach Belieben an- und abstellen wollen, war von ihm, außerdem diese sich selbst einpassenden Bodenplatten, Informica – und wurde damit Millionär. Milliardär irgendwann.«
    »Und mit dem Geld hat er das hier gebaut?« !Xabbu sah zu, wie eine Köcherfliege, die zu viele Beine zu haben schien, in einer Endlosschleife immer wieder ihrer Puppe entstieg.
    »Nein, das waren wir – falls du den Stock meinst –, das heißt, eigentlich war es ein Konsortium von Universitäten und Agrarkonzernen. Aber Kunohara hat die Welt drumherum gebaut, die Simulation, die wir erforschen. Und sie ist wirklich ziemlich irre. Kommt mit, ich zeig’s euch.«
    Der Sprung vom Stockmuseum in die Kabine des Libellenfliegers war übergangslos. Cullen saß bereits auf dem Pilotensitz. Er nickte zur Begrüßung und wandte sich wieder seinen Instrumenten zu.
    »Entschuldigt das abrupte Gespringe«, sagte Lenore, »aber im Stock nutzen wir unsere Souveränität aus und vergeuden nicht viel Zeit damit, die Normalität zu imitieren. Sobald wir zum Hangartor hinaus sind, passiert alles in Echtzeit und wie im realen Leben, auch wenn es sich tatsächlich in der Welt der Riesenkrabbler abspielt. Kunohara will es so.«
    »Er würde uns zu Fuß gehen lassen, wenn er könnte«, warf Cullen ein. »Hin und wieder geht einer von unsern Sims drauf – ein Wanderungsspezialist namens Traynor wurde neulich von einer Skorpionsspinne gefangen. Die hatte ihn schneller verdrückt, als ich es in Worten sagen kann. Ich wette, Kunohara fand das sehr unterhaltsam.«
    »Was ist mit ihm geschehen?« fragte !Xabbu , und

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