Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
Vom Netzwerk:
konnte er jetzt, wo der Streit in langsamen Wellen lauter und wieder leiser wurde, die schneidende Kälte des Breughelschen Schnees beinahe fühlen. Weiß, überall rieselte es weiß hernieder, machte die ganze Welt gleich, deckte alles zu, was einen sonst quälen oder beschämen würde …
    Paul tat der Kopf weh. Lag das am Nachdenken über die Kälte oder an dem anhaltenden Geplapper dieser streitenden Leute? Überhaupt, wer waren diese Leute? Er hatte vermutet, daß einer davon sein Vater sein könnte, aber der andere konnte auf keinen Fall Onkel Lester sein, denn der war vor fast zehn Jahren im Urlaub auf Java an einem Herzanfall gestorben.
    Eigentlich, merkte Paul, tat ihm mehr als nur der Kopf weh. Sein ganzer Körper wurde herumgebufft, und jeder Stoß war schmerzhaft. Und zum Schmerz kam noch das Gefühl zu frieren hinzu.
    Noch während er das dachte, fiel er einen Sekundenbruchteil durch die Luft und schlug auf einem Boden auf, der unangenehm hart war. Hart und kalt. Selbst bei seiner Benommenheit, seinem Brummschädel war er sich dessen sicher. Der Boden war sehr, sehr kalt.
    »… mit seinem Blut«, sagte eine der Stimmen gerade. »Das bringt einen Fluch. Willst du dir den Fluch von einem Mann aus dem Totenreich zuziehen?«
    »Aber das ist Vogelfängers Speer«, wandte der andere ein. »Warum geben wir ihm den?«
    »Nicht geben, lassen. Weil das Blut des Flußgeists daran klebt und wir nicht wollen, daß sein Blut ihn anzieht und zu uns zurückführt. So hat es Mutter Dunkler Mond gesagt. Du hast ihre Worte gehört.«
    Die Kälte wurde schlimmer. Paul fing an zu zittern, aber die Bewegung fühlte sich an, als ob seine Knochen an den wunden Enden aneinanderreihen würden, und er gab ein klägliches Wimmern von sich.
    »Er wacht auf. Wir kehren jetzt um.«
    »Läuft-weit, wir lassen ihn zu dicht in unserer Nähe liegen«, sagte die zweite Stimme. »Es wäre besser, ihn zu töten.«
    »Nein, Mutter Dunkler Mond sagte, sein Blut würde uns mit Fluch beladen. Hast du nicht gesehen, wie schon ein klein wenig davon Vogelfänger krank machte? Wie es das Übel in Vogelfängers Kind wachrief? Er wird nicht zurückkommen.«
    Paul, dessen hämmernder Kopf wie eine einzige große Beule schmerzte, konnte sich immer noch nicht vorstellen, jemals wieder die Augen zu öffnen, und so fühlte er mehr als er sah, daß jemand sich bückte und ein Gesicht sich ihm näherte.
    »Er wird nicht zurückkommen«, sagte Läuft-weit dicht an seinem Ohr, beinahe als spräche er zu Paul, »weil Mutter Dunkler Mond gesagt hat, wenn er zurückkommt, wird der Fluch ihn treffen, nicht uns. Die Menschen können ihn dann töten, ohne sein Blut fürchten zu müssen.«
    Das Gefühl der Nähe wich, dann plumpste etwas neben Paul hin. Er hörte ein rhythmisches Geräusch, in dem er alsbald die knirschenden Schritte der davongehenden Männer erkannte.
    Allmählich kam ihm eine Ahnung davon, was geschehen war, aber was rascher kam, war das Gefühl der eisigen Kälte. Ein Vibrato von Schauern durchlief ihn, und er krümmte sich wie ein blinder Wurm, kuschelte sich wärmesuchend zusammen. Es nützte nichts – die Kälte zog sich immer noch seine ganze Seite hinunter, saugte ihm das Leben aus. Er wälzte sich auf den Bauch und schob sich dann mühsam nach hinten, bis er auf den Knien kauerte. Er setzte die Hände flach auf und versuchte sich hochzustemmen. Eine Übelkeits- und Schwindelwelle erfaßte ihn, so daß ihm schwarz vor den Augen wurde und er einen kurzen Moment lang sogar die Kälte vergaß – doch der Moment war sehr kurz.
    Als die innere Dunkelheit zurückging, schlug Paul die Augen auf. Zuerst war alles unverändert. Der Nachthimmel dehnte sich über ihm aus, ein unfaßbares, samtiges Schwarz, doch als seine Sehkraft wiederkehrte, erkannte er, daß dieses Schwarz von gnadenlosen, glitzernden Sternen durchstochen war. Der obere Rand eines breiten gelben Mondes lugte hinter den Bäumen auf einer Seite der Hügelkuppe hervor.
    Unter dem Himmel lag ein Hang, eine einzige weiße Fläche, so daß die Welt auf die einfachsten Gegensätze reduziert zu sein schien. Und Paul selbst war das einzige andere Ding in der Welt, gefangen zwischen Schwarz und Weiß.
    Wieso ich? fragte er sich bekümmert. Was habe ich getan, Gott?
    Ein Windstoß wehte ihn an. Er dauerte nur einen Augenblick, aber der war, als kämen Messer geflogen. Paul schlotterte heftig und stellte sich mühsam auf die Füße. Er schwankte, aber schaffte es, das Gleichgewicht zu halten.

Weitere Kostenlose Bücher