Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer
nicht, was ein Speer war. Das Maul so weit aufgerissen, daß er ihren Atem eine volle Sekunde, bevor sie ihn erreichte, spüren konnte wie die Hitze aus einem Heizungsschlitz, warf sich die Hyäne mit einer solchen Wucht in die Speerspitze, daß sie Paul beinahe beide Arme auskugelte. Er stöhnte vor Schmerz auf und fühlte, wie der Speer, den er fest umklammert hielt, durch Muskeln und Knorpel fetzte. Das Scheusal stieß ein Schmerzensgeheul aus und knallte gegen ihn. Er flog zur Seite, als ob ihn ein Auto angefahren hätte, und fast wäre ihm der Speer von der weiterstolpernden Hyäne aus den froststarren Fäusten gerissen worden. Paul wurde herumgerissen und auf dem Bauch eine qualvoll lange Strecke über das Eis geschleift, bevor der Speer sich aus dem Fleisch des Tieres löste.
Betäubt blieb er auf dem Gesicht liegen und versuchte sich darauf zu besinnen, was seine Arme und was seine Beine waren. Da hörte er ein Krachen wie einen Pistolenschuß, und einen irrwitzigen Moment lang dachte er, daß wie in Peter und der Wolf ein Jäger mit einem großen Schießgewehr zu seiner Rettung gekommen wäre. Dann hob er den Kopf und sah die verwundete Hyäne rückwärts in ein schwarzes Loch im weißen Boden gleiten.
Ein Fauchen hinter ihm ließ Paul herumfahren. Die anderen beiden Bestien kamen auf muskelbepackten Beinen angesprungen. Er rappelte sich so hastig auf, daß er beinahe ausgerutscht und wieder hingefallen wäre, und hob verzweifelt den Speer über den Kopf, um nach ihnen zu schlagen. Da ertönte abermals ein lauter Knall, dann noch einer, und direkt unter ihm strahlten blitzartig schwarze Zackenlinien aus, so daß es einen Augenblick lang den Anschein hatte, als stände er im Mittelpunkt eines Spinnennetzes. Das Eis bebte und sackte ab. Ihm blieb kaum Zeit, sich darüber zu wundern, daß eines seiner Beine kürzer zu sein schien als das andere und sich außerdem plötzlich noch kälter anfühlte als vorher – oder heißer vielleicht, so genau war das nicht zu sagen –, dann brach das Eis unter ihm, und das hungrige schwarze Wasser verschluckte ihn.
Kapitel
Begegnung mit dem Großvater
NETFEED/WIRTSCHAFT:
Krellor verschleudert MedFX
(Bild: Krellor mit Vizepräsident von Straßburg)
Off-Stimme: Uberto Krellor hat sein multimil1ionenschweres Unternehmen für Ärzte- und Krankenhausbedarf MedFX, eines der letzten noch verbliebenen Mitglieder seiner Unternehmensfamilie Black Shield, an die Clinsor-Gruppe verkauft, die damit zum weltweit größten Anbieter auf diesem Markt wird. Krellor, der durch den massiven Vertrauenseinbruch der Nanotechnologie-Industrie bei den Kunden Milliarden verlor, hat nunmehr die meisten seiner Anteile mit Verlust verkaufen müssen, um die Forderungen der Gläubiger zu erfüllen.
(Bild: Krellor und Hagen im Schweizer Olympiapavillon in Bukarest)
Zwar in anderer Hinsicht nicht eben vom Glück begünstigt, hat Krellor doch unlängst seine frühere Frau Vila Hagen zum zweiten Mal geheiratet. Ihre turbulente erste Ehe war seinerzeit in den Klatschnetzen ein Dauerthema.
Krellor: »Es handelt sich nicht um einen Ausverkauf, es handelt sich um eine Sanierung — begreift ihr denn gar nichts? Und jetzt laßt uns bitte allein, wir würden gern unsere Flitterwochen genießen.«
> Obwohl sie schon soviel Zeit zusammen in der Simulation verbracht hatten, erschrak Renie, als sie die Augen öffnete und das Paviangesicht ganz dicht über ihr hing.
»Geht’s?« !Xabbu streichelte besorgt ihren Arm. »Wir haben eine Bruchlandung gemacht. Wie im Film.«
Renie war sich nicht völlig sicher, ob es ging: Ihr Kopf tat weh, die Welt schien eine starke Schlagseite zu haben, und sie war kaum imstande, ihre Glieder zu bewegen. Dieses Problem fand eine Lösung, als es ihr gelang, den Sicherheitsgurt aufzuschnallen, der sie an die eingedrückte Wand des Libellenflugzeugs fesselte; das zweite Problem wurde verständlicher, als sie daraufhin ins Cockpit purzelte – die Libelle stand anscheinend auf der Schnauze.
»Wir leben noch«, entschied sie.
»Aber nur knapp.« Unter ihr, halb von den Trümmern des Instrumentenbretts eingekeilt, unternahm Cullen wütende Anstrengungen, sich zu befreien. »Das heißt, nur knapp nach den Kriterien der Simulation. Herrje! Seht euch das an!« Er schlug mit der Faust auf die zerschmetterte Konsole. »Total hinüber.«
»Hörst du jetzt endlich mal mit deinem dämlichen Spielzeugflieger auf?« Lenore war in einer schlimmeren Lage als Cullen –
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