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Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer

Titel: Otherland 2: Fluß aus blauem Feuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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bei ihrem Näherkommen mit einem hörbaren Sprungbeinknacken so hoch, daß er wie eine abhebende Rakete wirkte. Bei gleichem Größenunterschied zu ihr im wirklichen Leben, ging es Renie durch den Kopf, hätte er direkt auf das höchste Gebäude im Zentrum von Durban springen können.
    An einer Stelle führte !Xabbu sie vorsichtig um ein Spinnennetz herum – ein phantastisches Werk der Ingenieurskunst aus dieser Perspektive gesehen, aber bei dem Gedanken, zufällig hineinzutreten, lief es Renie eiskalt über den Rücken. Sie schaute sich mehrere Male nervös um, aber die Erbauerin ließ sich nicht blicken.
    Auch die Welt der Pflanzen war faszinierend und jede einzelne von einer unglaublichen Komplexität. Selbst die Schimmelpilze, deren vielgestaltige Oberfläche im normalen Leben wegen ihrer Winzigkeit unbemerkt blieb, gaben reichlich Anlaß zum Staunen. Alles mußte ganz neu wahrgenommen werden, auch der nackte Erdboden, denn was dem normalen menschlichen Auge als völlig ebener Pfad erschien, konnte für Wanderer von Insektengröße tiefe, schlüpfrige Gruben und zahllose andere Hindernisse enthalten.
    Doch trotz der nicht abreißenden Überraschungen wurde Renie keine Sekunde den Gedanken daran los, was hinter ihnen war. Mit großem Geschick fand !Xabbu auch an Stellen, wo sie völlig verloren gewesen wäre, ein Weiterkommen durch den Mikrodschungel, und dennoch fürchtete sie, daß sie nicht schnell genug waren. Cullen hatte mit Lenores Last auf dem Rücken zu kämpfen, und Renie, die sah, wie er immer langsamer wurde, mußte mit Gewalt den Ärger und die Angst unterdrücken. Selbst !Xabbus geduldiges Ausspähen des Geländes brachte sie innerlich auf, weil er mit seiner ruhigen Art den Eindruck machte, es gar nicht eilig zu haben, obwohl sie wußte, daß das nicht stimmte.
     
    Instinktiv erstarrten alle auf der Stelle, als der Schatten eines Vogels hoch über ihnen kurz die Sonne verdunkelte. »Ich kann nicht mehr«, keuchte Cullen, als der Schatten wieder fort war. Er ließ Lenore zu Boden gleiten und japste nach Luft. »Du bist zu schwer, Kwok.«
    »Ich trage sie ein Weilchen.« Renie wollte keine Diskussion zwischen Cullen und Lenore oder sonst eine Verzögerung riskieren, falls sie es vermeiden konnte. »Wir können nicht Halt machen. Diese Scheißameisen werden uns umbringen, virtuell oder sonstwie.« Sie bückte sich und versuchte Lenore dazu zu bewegen, auf ihren Rücken zu steigen, aber mit der trotzigen, stummen Entomologin war nicht mehr anzufangen als mit einem Säugling. Fluchend packte Renie sie und legte sie sich über die Schulter wie einen Sack Mehl.
    »Los, kommt, solange ich sie noch tragen kann«, zischte sie mit angespannter Stimme.
    Beim Weiterstolpern wünschte Renie, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal, die Simulation wäre nicht ganz so frappierend realistisch. Lenores Gewicht lastete genauso bleischwer auf ihr, wie es das im RL getan hätte: Die Forscherin auf der Schulter zu balancieren und dabei einen Fuß vor den anderen zu setzen, war harte Arbeit.
    Um ihr Leben fliehende geflügelte Insekten brummten jetzt über sie hinweg, die ersten greifbaren Anzeichen des heranrückenden Eciton-Schwarmes. Es war entsetzlich frustrierend, sie vorbeisausen zu sehen, in derselben Richtung wie sie, aber zehn- oder zwanzigmal so schnell, wie Menschen marschierten. Renie tat der Rücken weh. Sie erwog und verwarf dann bedauernd die Möglichkeit, diese Kwok einfach fallenzulassen und unbehindert von der Last das Weite zu suchen, so schnell es nur ging. Lenore schien unter Schock zu stehen, und da die Simulation selbst erschreckend realistisch war, wußte Renie, daß ihre Wirkungen im gleichen Maße ernst genommen werden mußten. Die Behinderung dieser Frau war genauso lähmend, als ob sie in einem echten Urwald um ihr Leben liefen.
    »Da!« schrie Cullen. »Ich kann ihn sehen!«
    Renie trat neben ihn. Sie waren auf dem höchsten Punkt der Mittelrippe eines zu Boden gefallenen Palmwedels angekommen. Von diesem verhältnismäßig hohen Standort aus, ein gutes Stück über dem Blättermulch des Waldbodens, sahen sie endlich die Fenster des Stocks am fernen Hügel blinken. »Wie weit ist es noch, in RL-Entfernung?« keuchte sie. »Wenn wir normal groß wären? Ein paar Meter? Wenn doch bloß …«
    »Genau«, sagte Cullen. »Wenn doch bloß.« Er trottete die andere Seite des Blattes hinunter und überließ es Renie, mit Lenore auf dem Rücken hinter ihm herzustolpern.
    Sie überquerten gerade

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