Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
deren ganze Wand ringsherum von einem einzigen verblaßten Gemälde bedeckt war, Figuren, die aus Wolken mit blitzenden Sonnenstrahlen dazwischen hervorkamen und in vielverschlungenen gestikulierenden Scharen voranstrebten, bis die Wolken sie sich wieder einverleibten und das Kreisbild von vorn anfing. »Wir sollten hier eine Rast einlegen, denn die letzte Etappe steht bevor. Übrigens sehr hübsche Balustraden, die jetzt gleich kommen.« Er schaute sich in der Runde um; seine großen Augen waren weit geöffnet, als könnte er immer noch nicht recht glauben, in was für eine Gesellschaft er geraten war. »Und ihr möchtet vielleicht gern über euer Vorgehen diskutieren, hmmm? Euch beraten oder so?« Er breitete seine Kutte aus und setzte sich hin, wobei er seine langen Beine einklappte wie ein Campingstuhl.
Nicht mit !Xabbu reden zu können wurde allmählich lästig, und vor allem Renie wollte ohne seine Mitsprache keinen Angriff auf die falsche Quan Li planen. Sie blickte ihren Freund hilflos an. Er erwiderte ihren Blick mit stummem und dennoch beredtem Kummer.
»Eine Sache noch«, bemerkte Factum Quintus, als die anderen sich auf den alten Teppich sinken ließen, den das durch die hohen Fenster einfallende Sonnenlicht mit den Jahren dermaßen ausgebleicht hatte, daß von seinem Muster nur noch helle Schlieren zu sehen waren. »Oh, guckt mal«, sagte er plötzlich, als sein Blick auf den Fuß der Wand fiel. »Eine figürliche Stuckleiste. Die habe ich bis jetzt in keinem einzigen Plan verzeichnet gefunden. Und zudem eindeutig später hinzugefügt. Da wird Factum Tertius Augen machen, wenn ich …«
»Du sagtest, ›eine Sache noch‹?« Renie bemühte sich um einen freundlichen Ton, aber ihr Geduldsfaden wurde langsam dünn. Außerdem hatte sie ein ungutes Gefühl dabei, daß sie hier herumplapperten wie bei einem Picknick im Grünen, wo doch der Mörder in der Quan-Li-Maske ganz in der Nähe sein konnte. »Eine Sache noch?« bohrte sie.
»Ah. Genau.« Der Mönch legte die Fingerspitzen über den Knien zusammen. »Ich vermute, daß der Affe reden kann, und falls er meinetwegen schweigt, kann er das bleibenlassen.«
Renie war so verdattert, daß sie zuerst nur stammeln konnte: »Er … er ist ein Pavian.« Was sie eigentlich sagen wollte, war, daß !Xabbu ein Mensch war, und zudem ein sehr bemerkenswerter, aber sie wollte ihre Vorsicht noch nicht ganz aufgeben. »Wie kommst du auf sowas?«
»Gut, ein Pavian.« Factum Quintus zuckte mit den Achseln. »Ich habe gesehen, wie ihr beiden den ganzen Nachmittag über bedeutsame Blicke gewechselt habt. Es ist, als würde man die beiden Liebenden beobachten, denen die Zungen rausgeschnitten wurden, in diesem Stück … wie hieß es nochmal?« Er runzelte die Stirn. »Vergorene Zwiebelbrühe, irgendwas in der Art, ein altes Küchenmelodram, sehr beliebt bei den Marktbesuchern …«
!Xabbu setzte sich aufrecht hin. »Du hast recht, Bruder«, erklärte er. »Was wirst du deswegen unternehmen?«
»Unternehmen?« Factum Quintus schien die Frage merkwürdiger zu finden als !Xabbus menschliche Stimme. »Was sollte ich denn unternehmen? Ist es dort, wo ihr herkommt, Ketzerei, wenn Affen sprechen? Seid ihr deshalb fortgelaufen?« Er lächelte, sichtlich zufrieden mit sich. »Denn es ist klar wie ein Glasertraum, daß ihr aus einem sehr weit entfernten Teil des Hauses kommt. Hmmm. Vielleicht sogar aus einem der wilden Parks, von denen die Sage berichtet, den weitläufigen Gärten, die so groß wie ganze Hausflügel sein sollen. Ja, doch. Vielleicht seid ihr vorher überhaupt noch nie im Innern des Hauses gewesen, was?«
Florimel rutschte unbehaglich hin und her. »Was bringt dich auf solche Gedanken?«
»Es ist klar wie ein … es ist offensichtlich. Dinge, die ihr sagt. Fragen, die ihr stellt. Aber mir ist das einerlei. Der Primoris hat gesagt, ich soll euch helfen. Wir kommen an vielen herrlichen Sehenswürdigkeiten vorbei. Wenn ihr irgendwelche Dämonenwesen aus einem völlig andern Haus wärt, wäre mir das auch egal, solange ihr mir nichts tut und die Tapeten nicht abreißt und von den Pilastern nichts abbrecht.«
Sie hatten ihn unterschätzt, erkannte Renie. Obwohl es sie beunruhigte, wie leicht sie als Außenstehende durchschaut worden waren, schöpfte sie daraus auch eine kleine Hoffnung für ihre Suche. Bruder Factum Quintus war nicht der reine Fachidiot, für den sie ihn gehalten hatte; vielleicht konnte er ihnen tatsächlich helfen, Martine zu finden, und sogar
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