Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Alkoholgeruch zu bemerken, als er zurückkam.‹« Er runzelte die Stirn. »Mieser Wichser.« Da fiel sein Blick auf Christabel, die neben der Tür stand. »Ups. Ist mir nur so rausgerutscht.«
»Geh wieder spielen, Schätzchen«, sagte ihr Vater zu ihr.
Christabel lief auf die Wiese hinaus, aber sobald sie durch das offene Garagentor nicht mehr zu sehen war, machte sie langsamer. Irgend etwas zwischen ihrem Vater und Captain Parkins war anders als sonst. Sie wollte wissen, was. Vielleicht hing es ja damit zusammen, daß ihre Mutter ständig weinte, daß sie sich jeden Abend zankten.
Sie kam sich sehr, sehr unartig vor, als sie still und heimlich zurückging und sich neben dem Garagentor auf den Weg setzte, wo die Männer sie nicht sehen konnten. Da sie immer noch Baby Lollipop in der Hand hielt, machte sie einen kleinen Erdhaufen und setzte es darauf. Es bewegte langsam seine dicken Ärmchen hin und her, als drohte es jeden Augenblick das Gleichgewicht zu verlieren.
»… erzählen dir, daß diese Dinger sich einfach rein- und rausploppen lassen«, sagte ihr Papi gerade, »aber Tatsache ist, diese Affenärsche lügen wie gedruckt. Ich hab mir an diesen verdammten Schrauben schon die ganze Haut von den Knöcheln geschrammt.« Er sprach fast mit seiner normalen munteren Wochenendstimme, aber irgendwie klang sie schief. Christabel zog sich dabei alles zusammen, als ob sie aufs Klo gehen müßte.
»Hör zu, Mike«, sagte Captain Parkins. »Ich mach’s kurz und schmerzlos. Ich hab grade von diesem Kurzurlaub gehört, den du dir genommen hast …«
»Nur ein paar Tage«, versicherte ihr Vater rasch.
»… Und ich muß sagen, ich bin davon nicht begeistert. Um ehrlich zu sein, ich bin stinksauer.« Als seine Stimme plötzlich lauter wurde, setzte Christabel schon an wegzulaufen, doch dann merkte sie, daß er nur zwischen dem Tor und dem hinteren Ende der Garage, wo ihr Papi war, hin- und herging. »Herrje, ausgerechnet jetzt! Wo der Yak uns wegen diesem verdammten Alten Feuer unterm Arsch macht! Da willst du ein paar Tage lang auf ’nen kleinen Familienurlaub ausbüxen und alles auf mich abwälzen? Das stinkt zum Himmel, Mike, und das weißt du genau.«
Ihr Vater schwieg eine Weile. »Ich nehm’s dir nicht übel, daß du wütend bist«, sagte er schließlich.
»Du nimmst es mir nicht übel? Vielen Dank aber auch! Mann, ich hätte nie gedacht, daß du mich mal dermaßen hängenläßt. Und nicht mal vorher mit mir drüber geredet hast du. Scheiße!« Es gab ein dumpf knallendes Geräusch, als Captain Parkins sich auf eine der Mülltonnen setzte.
Christabel war aufgeregt und erschrocken und verwirrt wegen der unanständigen Ausdrücke und Captain Parkins’ wütendem Ton, aber vor allem wegen dem Urlaub, von dem da die Rede war. Was für ein Urlaub? Warum hatten Mami oder Papi ihr nichts davon gesagt? Sie hatte plötzlich sehr große Angst. Vielleicht brachte ihr Papi sie irgendwohin weg. Vielleicht machten er und Mami doch eine Scheidung.
»Hör zu, Ron«, sagte ihr Papi. »Du sollst die Wahrheit erfahren.« Er zögerte einen Moment. Christabel rutschte, so leise sie konnte, ein Stück näher ans Garagentor. »Wir … Bei uns gibt’s schlechte Neuigkeiten. Eine … eine Krankheitssache.«
»Hä? Krankheit? Du?«
»Nein … Kaylene. Wir haben es jetzt erst erfahren.« Er hörte sich so merkwürdig an, daß Christabel einen Moment lang gar nicht verstand, was er sagte. »Sie hat Krebs.«
»O mein Gott, Mike! Lieber Himmel, tut mir das leid! Ist er bösartig?«
»Einer von den bösartigen, ja. Selbst mit diesen dings, diesen Karzinophagen stehen die Chancen nicht sehr gut. Aber man kann noch hoffen. Man kann immer noch hoffen. Es ist halt so, daß wir’s grade erfahren haben und sie sehr bald schon mit der Behandlung anfangen muß. Ich … wir wollten einfach ein bißchen zusammen wegfahren, mit … mit Christabel. Bevor die Sache losgeht.«
Captain Parkins beteuerte wieder, wie leid es ihm tue, aber Christabel konnte nicht mehr zuhören. Ihr war am ganzen Leib kalt, als ob sie gerade von einer Brücke in das dunkelste, tiefste, eisekälteste Wasser gefallen wäre, das sie sich vorstellen konnte. Mami war krank. Mami hatte Krebs, dieses gräßliche grausame schwarze Wort. Deshalb weinte sie so!
Christabel fing auch an zu weinen. Es war so viel schlimmer, als sie gedacht hatte. Sie stand auf und starrte mit tränenblinden Augen auf den Boden, wo das kleine Baby Lollipop nur ein bunter Fleck war. Sie
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