Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas
Quan-Li-Monster schwer auf ihr Gesicht. Renie machte eine instinktive Abwehrbewegung, auch wenn sie erwartete, sogleich die Kräfte versagen zu fühlen, doch statt dessen war sie imstande, den auf ihr lastenden Körper hochzudrücken und schwindlig und benommen darunter hervorzukriechen.
Der Quan-Li-Sim war bereits hart und steif geworden wie in Wasser gegossenes heißes Wachs. Die Augen waren offen, doch der Ausdruck animalischer Triebhaftigkeit war daraus verschwunden. Der ganze Hals war eine zerfetzte Masse aus Blut und Gewebe.
Renie konnte nicht begreifen, was geschehen war, schon gar nicht, warum. Sie wandte den Kopf, und sofort wurde ihr übel. Wenige Meter unter ihr hingen !Xabbu und T4b immer noch an der Brüstung. Sie kroch auf sie zu, stockte dann aber, weil sie befürchtete, ihr zusätzliches Gewicht könnte das Wegbrechen der Brüstung beschleunigen, selbst wenn sie einen gewissen Abstand hielt. Sie faßte einen der Schornsteine, schlang die Arme fest darum, so daß ihre Wange an den kalten Ziegeln klebte, und schob dann ihre untere Körperhälfte vorsichtig nach unten, bis sie voll ausgestreckt auf dem Dach lag. Sie war so matt und zerschlagen, daß sie kaum sprechen konnte. Keuchend stieß sie hervor: »Faß … meine Beine … wenn’s geht.«
Sie konnte nicht zurückblicken und hätte es auch nicht getan, wenn sie gekonnt hätte. Statt dessen stierte sie die Dachschräge hinauf, wartete darauf, einen Griff an ihrem Knöchel zu fühlen, und betete, keine brechenden Bretter mehr hören zu müssen. Eine Gestalt hing oben aus dem Fenster wie eine auf der Spielbühne zurückgelassene Kasperpuppe. Darunter krochen langsam Blutstropfen die Mauer hinab und zogen lange rote Streifen. Renie konnte nicht erkennen, wer es war, und mußte es sich im Augenblick auch egal sein lassen.
Eine kleine Hand packte ihren Fuß.
Sie ächzte vor Schmerz, als !Xabbu richtig zufaßte und sie nach und nach mit T4bs Gewicht belastete. Es dauerte nur eine Minute, aber es kam ihr wie Tage vor. Renies Gelenke brannten. Ihr Kopf fühlte sich an, als ob jemand ihr den Schädel geöffnet hätte und ihr Gehirn unsanft mit einem Löffel umrührte.
Endlich wurde der Zug geringer, als es T4b mit !Xabbus Hilfe gelang, seinen Körper aufs Dach zu ziehen. Sie hörte, wie der junge Mann sich auf die Dachplatten sacken ließ, gierig die Luft einsaugte und sie in keuchenden Schluchzern wieder ausstieß. !Xabbu eilte nicht sofort an ihre Seite; sie hörte ihn leise auf T4b einreden. Renie konnte nur vermuten, was für Schmerzen ihr Freund selber litt, nachdem er das Gewicht des gepanzerten Kampfroboters so lange gehalten hatte.
Schließlich rafften sie sich alle auf, die Schräge hinaufzukrabbeln. Als sie die Mauer erreichten, hob die schlaff über der Fensterbrüstung liegende Gestalt das blutige Gesicht. Florimel sah lange mit einem Blick auf sie nieder, dem keinerlei Erkennen anzumerken war, dann nickte sie mit müder Befriedigung. Ihre linke Gesichtshälfte war fast völlig mit Blut bedeckt, und ihre Haare auf der Seite standen steif und schwarz ab und sahen aus wie von einem Präriefeuer versengtes Gras. Mit einer zitternden, rot verschmierten Hand hob sie die Steinschloßpistole ein wenig an.
»Den hab ich erwischt«, japste sie. »Das Schwein.«
Obwohl sie sich sofort für alles zuständig machte, Emily herbeirief, damit sie Florimel half, und selber !Xabbu und T4b nach ernsten Verletzungen untersuchte, dauerte es eine ganze Weile, bis die Betäubung wich und Renie wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Zweimal binnen weniger Minuten war sie dem Tod so nahe gewesen, daß sie sich schon aufgegeben hatte. Am Leben zu sein fühlte sich beinahe wie eine Last an.
Sie ließ ihre beiden Gefährten unter dem Fenster hocken und ging vorsichtig über das Dach zu der Stelle zurück, wo der Quan-Li-Sim in einer grotesken Haltung liegengeblieben war, eine dreidimensionale Momentaufnahme seiner Sterbenssekunde. Er war in einer Krümmung erstarrt, so als ob Renies Körper immer noch darunter läge.
Aber der Mann, der ihn benutzt hat, ist nicht tot. Er ist lediglich offline befördert worden. Die Gedanken hüpften ihr durch den Kopf wie Schießbudenballons. Er hätte mich beinahe umgebracht. Er wollte es. Für ihn war das wie Sex. Aber ich bin noch hier, er nicht.
Mit einem Schütteln versuchte sie vergeblich, die Kälte loszuwerden, die ihr bis in die Seele gedrungen war, dann bückte sie sich und fing an zu suchen.
Der Körper war
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