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Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas

Titel: Otherland 3: Berg aus schwarzem Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tad Williams
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irdischen Leiber ermordeten. Je nach der Methode, die sie sich für ihren RL-Selbstmord ausgesucht hatten, erstarrten die tierköpfigen Sims der Neunheit sofort oder erst nach einigen Minuten auf ihren Thronen. Manche der Götter taten ein paar torkelnde Schritte und stürzten dann zu Boden, andere wurden einfach an Ort und Stelle hart und steif wie Statuen.
    Jongleur, Wells, Yacoubian und Jiun Bhao leerten ihre Kelche ohne auch nur eine Spur des leichten Bangens, das einige der anderen doch noch verrieten, da diese vier ihren Selbstmord im Augenblick nur mimten.
    Binnen einer Minute öffneten sich vier Sarkophage wie Schmetterlingspuppen, und vier gutaussehende neue Körper richteten sich auf, je einer für Jongleur, Wells, Jiun Bhao und Yacoubian – die falschen Auferstehungsleiber, die Jongleur installiert hatte, um die anderen Mitglieder der Bruderschaft in dem Glauben zu wiegen, sie hätten den Übergang alle gemeinsam vollzogen. Die leeren Sims setzten sich auf, zwinkerten und blickten sich mit gespielter Verwunderung um, eine vorprogrammierte Farce für ein nicht mehr anwesendes Publikum.
    Keiner der anderen Sarkophage war aufgegangen.
    Aus Verblüffung wurde Schrecken. Jongleur schaltete die vier falschen Wiedergeburten ab und schwebte zu dem nächsten Gralsbruder, einem portugiesischen Industriellen namens Figueira. Seine widderköpfige Verkörperung des Gottes Chnum war halb zu Boden geglitten und hart wie Marmor.
    »Gibt es ein Problem?« fragte Jiun Bhao mit gespielter Sanftheit.
    »Wenn das ein Trick ist, den du da abziehst, alter Mann …«, knurrte Yacoubian.
    »Sie sind tot.« Es war, als hörte er jemand anders im Traum sprechen. Jongleur konnte es sich nicht erklären – hatte der Andere jetzt endgültig den Geist aufgegeben? Aber sonst machte alles einen ganz normalen Eindruck. »Sie sind alle tot, sie haben alle ihre wirklichen Körper umgebracht. Es ist kein Trick – aber sie sollten doch hier aufwachen …« Er wandte sich Ricardo Klement zu. Der schöne Jüngling saß immer noch in seinem Sarkophag, fraglos lebendig, aber anscheinend damit zufrieden, in seinem neuen Körper einfach zu existieren, denn er achtete gar nicht auf das, was um ihn herum vor sich ging. »Aber es hat doch bei Klement funktioniert! Wie können dann alle anderen … einfach …?«
    Wells inspizierte die verrenkte und versteinerte Simleiche von Ymona Dedoblanco. »Wie es aussieht, war es ein kluger Zug von dir, mit deiner Wiedergeburt noch etwas zu warten, Jongleur.« Er stand auf. Das gelbe Lächeln war wieder da, wenn auch in den Mundwinkeln ein wenig verkniffen. »Na, ich denke, wenn wir dieses kleine Problem ausgebügelt haben, bedeutet das schlicht, daß jeder von uns Verbliebenen ein größeres Stück von der Geburtstagstorte bekommt.«
     
     
    > »Ich verstehe das nicht«, sagte Renie atemlos. »Was ist da los? Sind diese ganzen Gralsleute echt tot?«
    Orlando hörte sie kaum. Die Stimmen in seinem Kopf waren wieder da, machten ihn ganz wirr mit ihrem Flüstern, tausend zwitschernde Vögel, die mit samtenen Flügeln durch einen leeren Dom schwirrten und flitschten. Mit dem letzten Rest seiner schwindenden Kraft klammerte er sich an einen Gedanken.
    »Das ist es«, sagte er. Das Sprechen fiel ihm schwer – mit jedem Wort vergeudete er kostbaren Atem. Irgendwo weit weg war sein Körper dabei aufzugeben, und diesmal würde es kein Erstarken mehr geben. »Deshalb bin ich noch hier.«
    Fredericks zupfte ihn fragend am Arm, aber Orlando schüttelte seine Freundin ab. Er war bereit gewesen, der gigantischen Gestalt auf dem Berg seinen erschöpften Körper entgegenzuwerfen, aber hatte es nicht getan. Es war ihm schon vor seinem Abstieg ins Tal klar gewesen, daß das Ungeheuer selbst seinen vehementesten Vernichtungsangriff gar nicht spüren würde, aber etwas ganz anderes als die Gewißheit, nichts ausrichten zu können, hatte ihn schließlich abgehalten: Beim Näherkommen hatte die titanische Erscheinung, so grauenhaft sie wegen ihrer unglaublichen Größe war, auch mitleiderregend auf ihn gewirkt – gefangen, gequält, ohnmächtig. Dieser Eindruck hatte Orlando völlig verwirrt, denn damit war er zwar ein todgeweihter Held, allerdings ohne Ziel und Aufgabe. Jetzt aber meinte er zu verstehen, warum er noch lebte und atmete, wenn auch äußerst mühsam.
    Er streckte eine Hand nach der schimmernden Vision des Gralssaales aus. Die anderen diskutierten heftig und nahmen es kaum wahr, aber Fredericks sah es.
    »Orlando?

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